Timm Thaler
kannte, kam jetzt die Stufen
heruntergesprungen. „Herr Baron, Sie muten sich zuviel zu!“
„Lassen Sie mich noch zwei Minuten mit dem jungen Herrn
reden. Dann können Sie mich wieder ins Hospital schaffen.“
„Ohne meine Verantwortung, Herr Baron!“ Der Chauffeur ging
wieder ein Stück die Treppe hinauf und blieb dort stehen. Am Fuß
der Treppe standen Jonny, Kreschimir und Herr Rickert. Eine
schweigsame Wache für Timm.
„Darf ich mich einen Augenblick auf Sie stützen, Herr Thaler?“
„Nur zu, Baron. Ich bin bei Kräften.“ Ein ganz kleines Lachen
begleitete die Worte. Lefuet stützte sich auf eine Schulter des jungen Mannes.
„Ihr Erbe, Herr Thaler…“
„Ich verzichte darauf, Baron!“
Lefuet stutzte, aber nur ganz kurz. Dann sagte er: „Das ist
vernünftig und vereinfacht die Sache. Durch Ihre Reederei werden
Sie in einigem Wohlstand leben können.“
„Die Reederei, Baron, schenke ich meinen Freunden.“
Lefuets Augen weiteten sich so, daß man es sogar durch die
dunklen Gläser erkennen konnte. „Dann hat Ihnen ja unser Vertrag
nicht das geringste genützt, Herr Thaler! Sie stehen so arm da wie am Anfang. Mit einem bankrotten Marionettentheater.“
Timm gestattete sich jetzt ein kleines Kullern. „Sie haben recht, Baron. Ich stehe wieder am Anfang. Aber was ich besitze, ist in den letzten Jahren für mich höher im Wert gestiegen als jede beliebige Aktie der Welt.“
„Und das wäre?“
Statt einer Antwort mußte Timm ganz einfach lachen. Der Baron
fühlte die Schulter des jungen Mannes unter seinen Händen zittern.
Und er hörte neue Untertöne in dem Gelächter, tiefere Töne,
Kontrapunkte, die das helle Lachen dunkel begleiteten. Da drehte
Lefuet sich um und winkte dem Chauffeur, der eilfertig herunterkam und einen Arm des Barons über seine Schulter legte. So stiegen sie die Stufen hinauf.
Timm rief: „Gute Besserung, Baron! Werden Sie bald wieder
ganz. Und Dank für das, was Sie mich gelehrt haben!“
Lefuet blickte nicht zurück. Der Chauffeur hörte ihn murmeln:
„Ganz, ganz! Man ist nicht ganz ohne das!“
Timm sah dem Baron nach, bis die Dunkelheit ihn verschluckte.
Seine Freunde waren zu ihm heraufgestiegen. Auch sie blickten
Lefuet nach. Jonny brummte: „Stinkreich, aber ein armer Teufel!“
Nach einer Weile gingen die vier ebenfalls die Stufen hinauf. Sie hörten, wie ein Auto in Gang gesetzt wurde und anfuhr. Das
Geräusch schwoll an und verlor sich dann wieder.
Bald darauf standen sie auf der Elbchaussee. Auf der
gegenüberliegenden Seite stand dunkel das Taxi von Jonnys
Schwager.
„Fahren Sie den Wagen in meine Garage, Jonny“, sagte Herr
Rickert. „Wir gehen inzwischen das kleine Stück zu Fuß.“
„Wohnen Sie denn immer noch in der weißen Villa, Herr Rickert?
Der Baron erzählte mir doch, Sie seien Hafenarbeiter geworden.“
„Bin ich auch, Timm. Ich erklär’ dir das morgen. Ich hoffe doch,
du hast nichts dagegen, mein Gast zu sein?“
„Im Gegenteil, Herr Rickert! Ich muß doch Ihrer Mutter
beweisen, daß ich wieder lachen kann. Oder…“ (er wandte den Kopf
zur Seite) „… ist sie…?“
„Kein Oder, Timm! Sie lebt noch und ist wohlauf und munter.
Gehen wir!“
Der Eingang zur Villa war beleuchtet. Die weiße Tür mit dem
runden Balkon darüber und mit den Löwen aus hellem Sandstein
links und rechts war eine Insel im Meer der Dunkelheit, ein
freundliches einladendes Ufer nach langer stürmischer Irrfahrt.
Timm mußte schlucken, als er auf die sanften Löwen zuging. Und
als die Tür sich öffnete und die alte Frau Rickert heraustrat (rundlich, mit weißen Lockchen und gestützt auf einen Stock), da mußte Timm
sich sehr zusammennehmen, um der alten Frau nicht heulend um den
Hals zu fallen. Was er herausbrachte, als er vor ihr stand, war ein Gestammel zwischen Lachen und Weinen. Vermutlich hieß es: „Na,
was sagen Sie jetzt, Frau Rickert?“ Aber verstehen konnte kein
Mensch die Worte. Es bemühte sich auch niemand darum, denn jetzt
übernahm die alte Dame das Kommando. Sie fragte: „Is allns in
Ordnung, Krüschan?“ Und als ihr Sohn nickte, schnaufte sie
erleichtert aus und sagte: „Das ‘s ‘n Grund zum Feiern, Kinner! Aber der Jung muß ins Bett. Der ischa ganz durchn’ander!“ Es geschah,
was Frau Rickert befahl: Timm mußte, ob er wollte oder nicht, ins Bett steigen, und es erwies sich, daß das gut war; denn schon nach sehr kurzer Zeit sank er in einen bleischweren Schlaf.
Am
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