Timm Thalers Puppen
wieder anderen steinernen Löwen spielen und winkelten uns dann durch enge Gassen, stets neue Brückchen überquerend, bis zu einer einladend offenen Tür vor, neben der eine Brücke ihren steinernen Bogen ansetzt.
Durch diese Tür ging es hinab auf Stufen, hinein in ein kleines halbdunkles enges Lokal mit wenigen Tischen und Stühlen und in den Geruch nach verschüttetem Wein und nach Früchten des Meeres, gebraten, gebacken, gedünstet, gesotten, gegrillt.
Unten in dem Lokal kam uns aus einer schmalen Tür, die dem Geruch nach in die Küche führen mußte, ein mittelgroßer Mann entgegen, mit strammem Bauch, aber nicht eigentlich dick. Er trug ein rotes Käppchen auf dem Kopf und eine Schürze vor dem Bauch, die sicher einmal weiß gewesen war, nun aber der Palette eines Malers glich. Sie war getupft in allen Tönen, von Petersiliengrün, Eidottergelb und
Bratenbraun bis zu Tomatenrot.
»Signore Timm, amico!« rief der Mann mit ausgebreiteten Armen.
»Amico Pantalone!« sagte Timm.
Die beiden umarmten sich. Dann wurde ich dem Wirt
vorgestellt, und danach stellte Timm mir auch den Wirt vor.
»Er war zu seiner Zeit in der Komödie der allerbeste Pantalone-Spieler«, sagte er. »Die Leute nennen ihn noch heute Pantalone. Und nun, amico«, sagte er zum Wirt, »haben wir Hunger. Wohin dürfen wir uns setzen?«
»Natürlich an die Wand unter die Puppen«, sagte der Wirt in einem Italienisch, das ich noch verstand. Dann aber, als wir uns an der Wand am Tisch niedergelassen hatten, begannen er und Timm den Dialekt Venedigs zu sprechen, und ich verstand kein einziges Wort mehr. Das blieb so bis ans Ende unserer Mahlzeit, bei der Pantalone, der Wirt, Timm in Absätzen eine Geschichte erzählte. Nur wenn der Wirt zu anderen Gästen ging oder in die Küche gerufen wurde, war es mir möglich, mit Timm Thaler zu reden. Bei einer solchen Gelegenheit erklärte er mir, daß die Marionettenpuppen an der Wand Figuren der Commedia dell’arte wären, Puppendarstellungen der Typen des alten italienischen Komödienspiels.
»Der Typ in Rot mit seiner Hakennase«, sagte Timm, »der diese gelben türkischen Schnabelschuhe anhat, das ist Pantalone. Nach ihm sind auch die Röhrenhosen benannt, die Mode wurden, als in Frankreich Revolution war. Das rote Käppchen, das unser Wirt heute trägt, das hat er schon als Pantalone auf dem Theater getragen.«
»Und wer ist dieser Puppenmensch mit den dicken
Augenbrauen und dem riesigen Schnurrbart?« fragte ich, weil der gerade über mir an der Wand baumelte.
Timm sagte: »Das ist Kapitän Spaventa, der Typ des
eingebildeten dummen Militärs. Über den erzählt der Wirt mir gerade eine Geschichte.«
»Und ich dachte, er erzählt dir eine Geschichte aus New York«, sagte ich. »Er sagt doch alle Augenblicke Nuovo York.«
»Es ist auch eine Geschichte aus New York«, bestätigte Timm Thaler.
»Und was hat die italienische Komödie mit New York zu tun?«
»Nichts oder alles, Boy, wie man es nimmt. In den Augen meines Freundes Pantalone jedenfalls ist alles, was die Menschen treiben, italienische Komödie, ob in Venedig, in New York oder am Nordpol. Vielleicht hat er recht.«
Nach dem Essen, das vorzüglich war, setzten wir uns in ein kleines Straßencafe, unter rot-weißen Jalousien, um Kaffee zu trinken.
Der Kellner, der uns bediente, ein magerer älterer Mann, hatte seine immer noch vollen schwarzen Haare in eine Welle gelegt, und seine Fingernägel waren sorgfältig manikürt. Aber alles, was er am Leibe trug, war irgendwo leicht abgestoßen, der Kragen des Hemdes ebenso wie die Manschetten, die Ärmel der weißen Jacke ebenso wie die Aufschläge der schwarzen Hose. Er lehnte sich, nachdem er uns den Kaffee gebracht hatte, einen mittelbraunen Capuccino, an eine Säule und verschränkte die Arme über der Brust.
Hier, wohlig satt und unter einer schattigen Jalousie den Capuccino schlürfend, fragte ich Timm, was ihm der Wirt denn da so gestenreich erzählt habe beim Mittagessen. Timm antwortete: »Das ist, sagt Pantalone, unter Italienern in New York passiert. Ein Patensohn von ihm, so sagt er, war dabei und hat es ihm erzählt.«
»Und was für eine Geschichte ist das, Timm?«
»Komischerweise eine Buch-Geschichte, die sonst zu
Pantalone gar nicht paßt.«
»Und was meinst du mit Buch-Geschichte?« fragte ich.
»Sie handelt von einem Buch«, antwortete Timm.
»Aha. Und bist du in der Lage, sie mir mit vollem Bauch zu erzählen?«
»Warum denn nicht, Boy?« fragte Timm und
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