Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Tintorettos Engel

Titel: Tintorettos Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melania G. Mazzucco
Vom Netzwerk:
daran, sich gegenseitig unter die Lupe zu nehmen. Erst aus einer gewissen Perspektive kann man Unterschiede, Lücken, die Wahrheit jedes Einzelnen erkennen. Nur mit Abstand gewinnt man Weitsicht. Und ich musste Marietta erst verlieren, um wieder zu ihr zu finden.

    Ich könnte behaupten, Mariettas Leben hätte sich von dem anderer Frauen nicht sonderlich unterschieden. Sie kleidete sich wie sie, sang dieselben Lieder, benahm sich nicht anders. Unser Haus war der Mittelpunkt ihrer Welt. Gleichzeitig kam es in Mariettas Leben aber auch zu ungeahnten Ausschweifungen - kurz, episodenartig und sonderbar. Marietta und der Juwelier gaben ihr gesamtes Vermögen für phantasievolle Musikabende im Mondschein aus, mal am Strand von San Francesco del Deserto, mal auf einem Schiff oder in den Dünen. Dominico, der häufig mitfeierte, berichtete mir, dass Marietta Laute spielte und meist aus dem Stegreif Lieder vortrug. Sie tanzte für ihr Leben gern und steckte alle damit an. Es wurde bis tief in die Nacht am Strand gefeiert. Im aufgewühlten Sand sah man noch Tage später die Spuren der Gesellschaft. Ihre Freunde waren zumeist Deutsche. Juweliere, Gold-und Silberschmiede, Diamantenhändler. Ich erinnere mich weder an ihre Namen noch an ihre Gesichter. Obwohl mich Marietta immer wieder einlud, gesellte ich mich nie dazu. In jener Zeit glich mein Haus einer Wallfahrtsstätte, es war zu einer Sehenswürdigkeit von Venedig geworden. Nachdem die ausländischen Besucher noch wenige Jahre zuvor zu Tizians Haus gepilgert waren, besichtigten sie nun alle meinen Palazzo. Bischöfe, Prinzen, Herzöge, Botschafter gingen bei mir ein und aus. Mich mit einer Gruppe Kunsthandwerker barfuß am Strand tanzend sehen zu lassen schien sich für mich nicht zu ziemen.
    Nach einer Weile wurden die Einladungen der Augsburger immer seltener, bis sie schließlich ganz verebbten. Die Adeligen posierten schon seit geraumer Zeit nicht mehr bei Marietta, und auch sie hatte Gesang und Spiel für sie eingestellt.«Ich habe keine Lust mehr, Leute zu unterhalten, die ich nicht mag», sagte sie eines Tages zu meiner Frau, die erleichtert auf ihre Entscheidung reagierte, da sie diese Besuche von Beginn an beschämend fand.«Und wenn ich ehrlich sein soll, dann habe ich sie noch nie gemocht. Ich will auch niemanden mehr malen, den ich nicht kenne
und der mir nichts bedeutet.»«Dann wird dein Gemahl aber mehr arbeiten müssen», gab Faustina zu bedenken,«denn alle, die du kennst und dir wichtig sind, hast du bereits gemalt.»
    Doch Marco Augusta stellte fest, dass das Edelsteine-Einfassen in einer düsteren Werkstatt nicht mehr seine mineralogische Neugier stillte, und beschloss, sie im Orient auf eigene Faust suchen zu gehen. Immer häufiger verbrachte er Monate fern von Venedig. Die Plektren stumpften ab, die Baumwollsaiten leierten aus, die Tonhöhenregister klangen nicht mehr einstimmig, kurzum, das Cembalo geriet in Vergessenheit, sodass Marietta es Giovanni schenkte, der es wieder bei mir zu Hause ins große Wohnzimmer stellte, wo es bis heute steht. Wahrscheinlich war dies die Zeit, in der die beiden in ihr Leben traten. Erst die eine, dann die andere, vielleicht hatte die eine die andere auch mitgebracht, jedenfalls kam es mir schließlich so vor, als wären sie mit der Tür ins Haus gefallen. Mir wäre es lieber, sie nicht erwähnen zu müssen, verschweigen kann ich sie allerdings auch nicht. Sie bohrten sich in unsere Familie wie Messer in die Butter.
    Die Malerin kannte ich dem Namen nach. In Venedig gab es außer Marietta nicht viele Frauen, die behaupteten, sich mit der Malerei und Farben auszukennen. Und diese wenigen bemalten Spiel- und Tarotkarten. Nur zwei oder drei wagten es, Figuren zu malen. Auch ihr Vater war Maler gewesen, allerdings ein unbedeutender, dessen Werke ihn nicht überlebten. Die Brillenmacherin war hingegen eine Frau aus der Nachbarschaft, die dem Viertel keine Ehre machte - mehr nicht. Aber davon gab es durchaus mehrere. Das habe ich allerdings an Venedig immer gemocht. Am selben Fluss wohnten Adelige und Fährmänner, Gewürzhändler und Hafenarbeiter, Nonnen und Dirnen - diese Verschmelzung wirkt bereichernd und gibt dem Leben die richtige Würze.
    Es passte mir nicht, dass Marietta Umgang mit Zanetta, der Brillenmacherin von den Ormesini hatte, aber kein einziges Mal ließ ich mich dazu herab, über sie ein Wort zu verlieren. Bei uns
wäscht man schmutzige Wäsche nicht in der Öffentlichkeit. Wir sind Nachfahren der Färber:

Weitere Kostenlose Bücher