Tintorettos Engel
Wir färben unsere Wäsche in den leuchtendsten Farben. Es war die Aufgabe des Ehemanns, wachsam zu sein. Der Juwelier blieb jedoch zeitlebens ein Fremder. Allerdings haben sich Marco Augusta und meine Tochter in den vielen Ehejahren nie gestritten. Sie waren ein solch gut eingespieltes Paar, dass ich immer auf sie verwies, wenn Faustina und ich uns wegen alberner Kleinigkeiten zankten - wegen unnötiger Ausgaben, Verspätungen meinerseits oder harmloser Lügen.«Wenn du mich weiter so quälst, nagelst du mich noch ans Kreuz», fuhr ich sie zum Beispiel an,«Marietta hat ein solch sonniges Gemüt, krümmt ihrem Mann kein einziges Haar und verschafft ihm ein leichtes Leben.»Daraufhin fletschte Faustina die Zähne und fauchte:«Warum hast du sie dir dann nicht genommen?»
Weder die Malerin noch die Brillenmacherin waren verheiratet. Malerin … Donna Jacoma führte den Pinsel so anmutig wie eine Hacke. Dennoch zeichnete sie tatsächlich kleine Madonnenbilder, die sie ans gemeine Volk verkaufte - jedenfalls an alle, die sich nichts Besseres leisten konnten. Ihre Bildchen kosteten ein paar Münzen, zuweilen bat sie sogar nur um eine Spende. Sie war arm, und viele machten sich über sie und ihr anmaßendes, extravagantes Gebaren lustig. Sie wohnte zwei Brücken von uns entfernt, im Dachstuhl eines Tuchhändlers. Sie bewunderte meine Tochter, doch wie aufrichtig, weiß ich nicht. Das habe ich auch bei mir nie einschätzen können: Hin und wieder umgab auch ich mich mit Jüngern, ohne zu erkennen, wie viel Neid und Rivalität in ihren Herzen schwelte.
Ich kann mich allerdings noch gut an den Tag erinnern, an dem sich Donna Jacoma in mein Haus schmuggelte und mit meiner Tochter sprechen wollte. Sie sagte, sie habe sich immer in dem Glauben gewiegt, Venedigs einzige echte Malerin zu sein. Doch dann habe sie das Buch eines Florentiners mit Biografien über Italiens berühmte Maler geschenkt bekommen, in dem sie
unter denen aus Venedig mit großer Freude über das Leben der Marietta gelesen habe. Sie wolle ihrer Kollegin zu dem großen Erfolg gratulieren. Sie verglich sich mit ihr, verstehst du, Herr. Eine Art Anstreicherin hielt sich für ebenbürtig. Doch anstatt von ihr Abstand zu nehmen, entgegnete Marietta, dass sie noch nie etwas von diesem Buch gehört habe und darauf brenne, es sich anzusehen! Da öffnete Donna Jacoma einen zerschlissenen Beutel und überreichte ihr ein Exemplar.«Es gehört Euch», fügte sie hinzu.
Aufgeregt blätterte Marietta in dem Band. Er hieß Il Riposo und war ein paar Jahre zuvor in Florenz gedruckt worden. Alle Möglichen kamen darin vor: Freunde, Feinde, Genies, Lebende und Tote.«Tizian hat sechs Seiten, Jacomo», rief Marietta frohlockend,«du acht!»Ich tat überrascht. Als mich der Autor um eine Liste meiner Werke bat, schrieb ich ihm einen Brief und erzählte ihm von Marietta. Ich pries ihre Leistungen an, beschwor ihn, sie unbedingt mit in seinen Katalog aufzunehmen. Davon durfte meine Tochter aber nichts erfahren.
«Lavinia Fontana hat sechs Zeilen», schaltete sich Donna Jacoma ein,«Marietta Tintoretta aber einundzwanzig. Wenn man bedenkt, dass Properzia de Rossi, der zwei Seiten gewidmet sind, Pfirsichkerne schnitzt und graviert, dann seid Ihr, Signora, die berühmteste Malerin Italiens.»«Oh», rief Marietta,«ich bitte Euch, Donna Jacoma, nehmt Euer Buch zurück, sonst glaube ich das womöglich noch.»«Aber Ihr müsst es glauben, ehrwürdige Marietta», beteuerte ihr die Malerin,«deswegen habe ich es Euch ja gebracht.»
Marietta bat sie auf ein Glas herein und ließ eine Karaffe Wein aus Candia öffnen. Da ich eigentlich nicht wollte, dass diese Schnüffeltante die Verkündigung zu Gesicht bekam, die noch auf der Staffelei stand und der Rochusbruderschaft geliefert werden musste, knurrte ich widerwillig.«Wenn mich Kapitän Spavento nicht aufzuspießen gedenkt», sagte Donna Jacoma zu Marietta,
«stoße ich gern auf Euren Erfolg an, Verehrteste.»«Kapitän Spavento? », fragte ich nach.«Wer soll das sein?»
«Oh, eine sehr faszinierende Figur, kühn und hochmütig ist sie allzeit bereit, ihr Schwert zu zücken und sich in die Schlacht zu stürzen, vor allem in solche, die sie nicht gewinnen wird, ein Träumer, der schlecht zwischen Phantasie und Wirklichkeit unterscheiden kann», erklärte Donna Jacoma mit einem Lächeln und betrachtete neugierig den Korbstuhl, den ich zu Füßen der Jungfrau gemalt hatte. Einen Korbstuhl wie er in Weinlokalen und Küchen steht, mit
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