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Tintorettos Engel

Titel: Tintorettos Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melania G. Mazzucco
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ausgefranstem Geflecht. Kein anderer Maler hätte es gewagt, in das Zimmer der Jungfrau Maria einen schäbigen Korbstuhl zu stellen, und ich war außerordentlich stolz über diesen Alltagsbezug, den dieser Stuhl der Szene verlieh. Marias Zimmer wurde so zum Zimmer irgendeiner Frau.«Dieser Mann könnte geradewegs ich sein», sagte ich scherzhaft.«Deswegen nennt Euch ja auch jeder Kapitän Spavento», erklärte Donna Jacoma. Das hatte ich nicht gewusst, aber es machte mir nichts aus.«Ihr dagegen», erwiderte ich schlagfertig,«heißt wie Jacomo Tintoretto.»
    Sie habe sich ihren Namen nicht selbst aussuchen können, rechtfertigte sich die Malerin. Name und Geschlecht gehörten zu den wenigen Dingen, über die wir nicht bestimmen könnten. Sie würden uns gegeben und hätten immer schon einem anderen vor uns gehört - wie ein gebrauchtes Kleid.«Aber das Leben gehört uns», betonte sie und schaute erst mir und dann Marietta fest in die Augen,«wir sind es, die darüber entscheiden, ob wir ein gebrauchtes aus zweiter Hand, den Abklatsch eines anderen oder ein neues, einmaliges und unnachahmliches Leben wollen.»Diese Frau sprach mit der gespaltenen Zunge einer Schlange. Ehrlich gesagt, fuhr sie fort, bewundere sie zwar den Vater, ziehe aber die Tochter vor. Denn dass ich der sei, der ich war, sei normal oder gehöre zumindest in den Rahmen des Möglichen. Der Geist wehe zwar, wo er wolle, aber in einem Jahrhundert und einer Stadt von
beinah zweihunderttausend Einwohnern wie Venedig könne es durchaus vorkommen, dass er zweimal einfahre, und zwar bei Tizian und mir. Dass Marietta jedoch die sei, die sie war, das sei ein Wunder. Und Wunder blieben häufig aus. Man könne noch so fest daran glauben und sein Leben lang darauf hoffen - meist vergebens. Tatsächlich schaute sie meine Tochter wie eine wundersame Erscheinung an. Verblüfft über ihre Worte, lief Marietta rot an.
    Ich nahm unseren seltsamen Gast prüfend ins Visier. Donna Jacoma hatte krauses Haar mit ein paar weißen Strähnen, eine Adlernase, grüne Augen und Hände wie ein Tischler. Sie hatte irgendetwas an sich, das mich abstieß.«Die Malerin will etwas von dir», warnte ich Marietta nach Donna Jacomas Weggang.«Du bist bekannt und geschätzt, sie aber ist eine Versagerin. Du bist das, was sie nie werden wird. In dem Honig, den sie dir um den Mund schmiert, ist ein Gift, das dich umbringt, sobald du nur daran leckst. Sie will aus deinem Namen Gewinn für sich schlagen, dich benutzen.»Mit einem ironischen Lächeln schaute mich Marietta an.«Niemand benutzt die anderen besser als du, Jacomo.»
    Donna Jacoma kam auch zu ihrer Beerdigung. Sie saß hinten in der letzten Reihe und hat nicht eine Träne vergossen, starrte mit versteinertem Gesichtsausdruck nur vor sich hin. Erst als die Totengräber die Platte über das Grab schoben, sah ich, wie sie zusammenfuhr und sich die Hand auf den Mund presste, als wollte sie einen Schrei unterdrücken. Als sie uns ihr Beileid aussprach, sagte sie, dass sich Venedig genauso wenig wie ich bewusst sei, welche Gelegenheit es versäumt habe. Was sie mir genau damit sagen wollte, weiß ich nicht.
    In den wirren Tagen nach dem Begräbnis zog Marco Augusta ins Rialto hinter Sankt Aponal.«Ich kann nicht dort leben, wo Marietta gelebt hat», sagte er,«die Fenster, jede Mauerspalte, das Licht - alles erinnert mich an sie.»Er verschloss alle Gemälde, Möbelstücke, Laken und Mariettas Kleider in vier Nussbaumtruhen
und schickte sie zu uns nach Hause. Wir sortierten ihre Sachen aus und verteilten sie. Einige wurden verschenkt, andere auf den Dachboden gesperrt. Cornelias deutschsprachige Bibel behielt ich. In der Schublade ihres Schreibtischs lag das Buch Il Riposo von Donna Jacoma, zwischen dessen Seiten über mein Leben eine getrocknete Rose als Lesezeichen steckte. Etwas anderes hat Marietta meines Wissens nie gelesen. Unter dem Frontispiz stand eine Widmung, die zu dem Zeitpunkt, als Donna Jacoma ihr das Buch geschenkt hatte, noch nicht da war. Sie lautete:
    « Alle Dinge dieser Welt besitzen wir nur als Leihgabe und nicht auf ewig, ich fürchte nicht den Tag, an dem ich Euch verlieren werde, sondern an dem ich Euch fand. J. »
    Ich war überrascht, da ich mir nicht vorstellen konnte, dass Marietta die Malerin noch einmal getroffen hatte. Ich fragte Dominico, was er über Donna Jacoma wisse.«Nichts», antwortete er achselzuckend,«nur, dass sie ziemlich arm ist und die Leiter des Abstiegs, auf der ungebundene Frauen nun

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