Tintorettos Engel
mal stehen, mittlerweile ziemlich tief hinabgerutscht ist: Hin und wieder betätigt sie sich als Zimmervermieterin, Wäscherin oder Bettlerin an der Kirchenpforte. Das Nötigste zum Leben verdient sie sich als Hebamme und bringt - oder auch nicht - die Kinder von Cannaregio zur Welt. Die Zunft der Maler hat darüber nachgedacht, ihr kostenlos ein Haus zuzuweisen; ernsthaft haben wir darüber diskutiert, aber es war unmöglich. Sie gehörte nicht mehr dazu, da sie den jährlichen Beitrag nicht zahlte, wir können nichts für sie tun. Ansonsten ist sie sehr hochmütig, lieber krepiert sie vor Kälte unter einer Brücke, als ein Almosen von ihren Kollegen anzunehmen, die sie nie wirklich akzeptiert haben.»
Kurz darauf traf ich zufällig Iseppo und befragte auch ihn. Hätte ich es lieber nicht getan. Es war sowohl unter meiner als auch ihrer Würde. Ein Geselle hätte mir ohnehin nichts Achtbares erzählen können. Möglicherweise tischte er mir aber Lügen auf, um sich dafür zu rächen, dass Marco Augusta ihn hinausgeworfen
hatte, oder weil er in wahnsinniger Liebe zu meiner Tochter entbrannt war. Wer weiß das schon. Anfangs stritt es Iseppo ab. Er verteidigte seine Herrin, obschon Marietta ihn nicht mehr hören konnte. Dann aber wich die Ergebenheit einem anderen Impuls - dem Wahrheitsinstinkt oder finsteren Rachegelüsten -, und er gestand, dass Donna Jacoma eine Zeit lang die Wohnung meiner Tochter aufgesucht habe. Wenn er von der Arbeit nach Hause kam, habe er sie hin und wieder bei ihr angetroffen. Er hatte die Malerin nie leiden können. Alles an dieser Frau sei zwielichtig - ihre Art, ihre Kleidung, selbst ihre Stimme. Wenn er genau überlege, sei Donna Jacoma nie in Anwesenheit des Juweliers zu Besuch gewesen und gewiss immer ohne sein Wissen gekommen. Und da alle im Viertel wüssten, dass die Malerin Flüche abwenden könne, indem sie aus der Hand lese, Beschwörungsformeln aufsage, mit dem getrockneten Blut Hingerichteter und mit Kanalisationswasser Verwünschungen ausspreche oder Zaubertränke für die Liebe der Männer und andere Händeleien anmische, glaube er, Iseppo, Donna Jacoma sei wegen dieser Zaubereien auch zu Madonna Marietta gekommen.
Schroff gab ich ihm zu verstehen, dass meine Tochter keine dumme Pute gewesen sei, die sich die Zukunft aus der Hand lesen ließ oder an von Nadeln durchstochene Wachsfigürchen glaubte, ebenso wenig an Rübenschnitzel, die man Männern in die Unterhosen näht, um ihre Männlichkeit einzusperren, oder an irgendwelchen anderen Humbug, und dass er sich was schämen solle, so etwas auch nur zu denken. Mit hochrotem Kopf erwiderte Iseppo, dass wir uns doch alle, wenn wir völlig verzweifelt seien, an irgendein Mittel klammern würden. Er habe durchaus Verständnis dafür, wenn man versuche, mit einem Liebestrank die Person seiner Verehrung an sich zu binden. Genau, vielleicht habe Madonna Marietta ja die Leidenschaft des Juweliers ein wenig anregen wollen. Der Deutsche sei solch ein trockener und beherrschter Mensch gewesen, kalt wie ein Diamant, und Iseppo
habe ihn immer nur von den Kräften der Minerale und den Einflüssen der Himmelskörper reden hören. Auch sein Meister habe mit geheimnisvollen Pulvern Handel betrieben, denn als er eines Tages den doppelten Boden in einem Schubfach mit seltsamen glitzernden Steinen entdeckte, die sein Herr nicht für Schmuckstücke verwendete, habe ihm Augusta erklärt, es handle sich um alchemistische Edelsteine, deren Wirkungskräfte er noch für sich behalte, da er, Iseppo, noch zu jung für die unsichtbare Welt sei. Mehr habe er nicht von ihm erfahren. Oder Madonna Marietta habe die Leidenschaft eines anderen erwecken wollen - wer weiß das schon.
Davon abgesehen würden Frauen Zaubertränke zur schnelleren Empfängnis einnehmen. Viele auch, um gerade nicht zu empfangen, um die Wege des Samens zu verschließen oder die erhitzenden und fruchtbaren Kräfte versiegen zu lassen. Aus diesem Grund habe man häufig nach Donna Jacoma gerufen. Iseppo habe es von meiner Köchin erfahren, die diese Art von Sud und Säfte aus Salbei, Rautenwurzeln und anderen abtreibungsfördernden Kräutern bei ihr kaufe, zumal sie seit zwanzig Jahren ein Techtelmechtel mit meinem Diener Nastasio habe, aus dem noch keine Frucht hervorgegangen sei. Vielleicht habe Madonna Marietta ein Kind gewollt - oder das Gegenteil. Das wisse er nicht, da die Signora sehr reserviert gewesen sei und nie über sich gesprochen habe. Anders könne er sich die Besuche
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