Tintorettos Engel
Armleuchter.»Dominico brüllte, schrie, zerriss vor Wut sein Hemd, schleuderte den Mörser auf die Erde, zerbrach eine Glasvase in tausend Stücke, zerschepperte Gläser, fuhr mit einem Splitter durch die Leinwand, an der er gerade arbeitete, und schlug seinen Kopf gegen die Wand. Ich befahl ihm, sofort mit dem Radau aufzuhören, und klärte ihn auf, dass ich das Bild verkauft und dreißig Dukaten dafür bekommen habe, die - abzüglich der Ausgaben für Farben und Leinwand, die auf mein Konto gingen - ihm gehörten und die ich ihm in Raten Woche für Woche auszahlen würde, als Gehalt.
«Vater», sagte mein guter Sohn entsetzt,«ich kann nicht fassen, wie wenig dir meine Freundschaft bedeutet. Gib mir das Geld und sag mir den Namen des Kunden. Ich werde dir vergeben. Tust du das nicht, ist es mit uns vorbei. Und ich werde dich bis an mein Lebensende dafür hassen.»Ich gab ihm das Geld zurück, sagte ihm aber auch, dass der Fremde bestimmt schon die Grenzen der Republik hinter sich gelassen habe. Dominico reiste ihm bis vor die Tore Mailands nach.«Warum hast du das getan?», fragte er mich noch immer erschüttert bei seiner Rückkehr.«Weil du ein Maler und kein Dichter werden wolltest», erwiderte ich kalt.«Sentimental sind Dichter, aber doch nicht Maler. Sie malen Bilder, um sie zu verkaufen.»«Das tust du vielleicht», sagte Dominico.«Ich nicht oder noch nicht, ich bin doch erst zwanzig, und in dem Alter ist ein Maler nicht käuflich. Dieses Bild habe ich für mich gemalt.»
Vielleicht hat er auch Tancred tauft Clorinda für sich gemalt, auf dem er der sterbenden Kriegerin Mariettas Gesicht geliehen hat. Nur so können wir unserer geliebten Verstorbenen gedenken - oder uns von ihnen lösen -, aber dieses Geheimnis nehmen
wir mit ins Grab. Wochenlang besserte Dominico an diesem Bild herum - unzählige Male zeichnete er liebevoll die Kurven unter der aufgeknöpften Bluse nach. Er malte die liegende Clorinda von hinten - sodass sich Gesicht und Busen wie eine Versuchung dem Betrachter entgegenstrecken. Er pinselte so lange an der Hautfarbe herum, bis er endlich den unentbehrlichen aschfahlen Farbton erhielt. In der Geste des Ritters, der die im Sterben liegende, treulose Geliebte tauft, liegt etwas Verzehrendes - denn obwohl er sie nicht mehr haben können wird, will er ihr wenigstens die Tür ins Paradies öffnen. Tancred am Rand der Leinwand hat er sein eigenes Profil gegeben. Kein anderes Werk von Dominico ist dermaßen kraftvoll und von solch verzweifelter Schönheit. Dieses Mal dachte ich nicht im Traum daran, es zu verkaufen. Über Monate stand es in seinem Zimmer. Eines Tages aber war es verschwunden. Dominico hat es einem Adeligen aus Mantua verkauft, der sich in das Bild verliebt hatte. Warum er sich davon getrennt hat, weiß ich nicht. Ein jeder hat seine eigenen geheimen Altäre, unsere stehen in unseren Räumen, unseren Kirchen und den Sälen unbekannter Prinzen, die wir nie betreten werden.
Bis zuletzt war Dominico unser Bote.«Sie sind in einen herrschaftlichen Palast gezogen», teilte er mir ein paar Wochen nach ihrem überstürzten Umzug mit.«Kurz hinter den Canal Grande, kaum zehn Minuten entfernt von der Fähre La Maddalena. Sie wohnen bei San Giacomo dall’Orio gleich hinter dem Platz.»«Wären sie mal besser nach Deutschland gegangen», entfuhr es mir. Dominico seufzte und ging die Stufen hinauf. Ich lief ihm in den großen Saal der Scuola della Misericordia nach, der sich per Regierungsdekret zur vorübergehenden Werkstatt unseres Betriebs verwandelt hatte. Von einem umfangreichen Heer aus Gehilfen und Mitarbeitern unterstützt, verwirklichte mein Sohn - den inzwischen alle den jungen Tintoretto nannten - den ehrgeizigen Irrsinn namens Paradies , das riesige Wandgemälde für den Dogenpalast.
Anfangs ging ich noch jeden Tag in den düsteren Bau - der unvollendet und daher genauso beklemmend war wie alles im Leben, das nicht an sein Ziel gelangt. Später ließ ich mich nur noch einmal die Woche und schließlich sogar noch seltener blicken. Letzten Endes war ich nur der Komponist dieses riesigen Gemäldes. Es war ein Geschenk an die Republik, meine letzte und endgültige Gabe an die Stadt. Ein Geschenk, das seinesgleichen noch nicht gesehen hat. Ich wollte es auf meine Kosten anfertigen, und für mich war es die Rückkehr zu meiner ursprünglichen, jugendlichen Reinheit. Aber diese Herausforderung - das größte Gemälde der Welt zu malen -, die mich so gereizt hatte, als ich es
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