Tintorettos Engel
tauchte den Neugeborenen gerade in warmes Wasser und badete ihn mit den geschickten Handbewegungen einer kinderreichen Mutter. Marco Augusta schaute ihn nicht einmal an, sondern kniete sich ans Ende des Betts - auf dem Marietta mit geschlossenen Augen in ihrem Blut lag. Blut auf den Laken, dem Kissen, den Schürzen der Hebamme und meiner Frau, auf den grauenerregenden Instrumenten des Chirurgen - Zangen, Bohrer, Spritzen, Feilen, Raspeln, Kauter -, auf dem Boden und sogar an den Wänden. Auch das Bild, das ich ihr zur Hochzeit geschenkt habe, hatte ein paar Spritzer abbekommen - sie hatte es neben das Bett gehängt. Das Zimmer sah aus wie ein Schlachthaus, eine Metzgerei oder als hätte eine Schandtat oder ein grausames Verbrechen darin stattgefunden. In gewisser Hinsicht stimmte das auch.
Wie ein Kind brach Marco Augusta in Tränen aus. Auch ich beugte mich am Kopfende über sie. Ich berührte ihr Haar, ihre Wange, ihre Schultern. Marietta zeigte keinerlei Regung. Tot war sie allerdings nicht. Als ich ihren Mund berührte, spürte ich einen schwachen Lufthauch an den Fingern. Faustina forderte den Juwelier auf, sich wie ein Deutscher zu benehmen, wisse doch seine Frau, die soeben die grauenvollen Schmerzen einer Geburt durchlitten habe, nichts mit einem Mann anzufangen, der wie ein dummes Klatschweib herumjammere. Dann schickte sie uns vor die Tür - wir seien absolut nutzlos in diesem Raum, dies sei reine Frauensache. Nadel und Faden würden gebraucht, es müsse genäht werden, und das könnten wir beide nicht, wir Männer könnten immer nur alles kaputtmachen.
«Mein Funke», stammelte ich,«Marietta.»Sie hatte nicht einmal mehr die Kraft, die Augen zu öffnen. Ich umfasste ihren Puls. Mein Hemdsärmel verschmierte sich mit Blut. Das Stöckchen, auf das sie die vielen Stunden gebissen hatte, war auf das Kissen zwischen ihr Haar gerutscht. Ich nahm es in die Hand. Das Holz war noch feucht von ihrer Spucke und trug den Abdruck ihrer
Zähne. Seitdem stecke ich mir immer dann, wenn ich vor Schmerz oder Verzweiflung schreien könnte, das Stöckchen in den Mund und beiße so lange fest hinein, bis mir der Kiefer wehtut.
Der Chirurg fragte, wer von uns beiden die Nabelschnur durchtrennen wolle. Marco Augusta schüttelte den Kopf. Ich nahm die Schere vom Tablett. Die Hebamme legte den Säugling auf einen Stapel Kissen. Sein Gequäke wurde immer schriller. Die Schnur war fest wie ein Schiffstau. Es war ihr Fleisch. Mit einem Schnitt trennte ich es durch. Ohne es mir klarzumachen, zerriss ich in diesem Augenblick das Band, das uns beide zusammengehalten hatte. Von diesem Tag an begann Marietta mich immer mehr zu verlassen.
Wir begruben ihn auf dem Friedhof von Carpenedo, da für den Weg bis nach Venedig keine Zeit mehr war. Es war der letzte Tag im Juli. Marco Augusta und ich blieben so lange in der sengenden Sonne stehen, bis die Totengräber das Grab wieder mit Erde zugeschaufelt hatten. Sie war nicht dabei. Jacometto lebte elf Monate und vierundzwanzig Tage. Ihn traf nicht die geringste Schuld. Er konnte nur sieben Worte sagen, eins davon war Jacomo. Seine Zeit auf der Erde war derart kurz, dass er nichts von sich zurückgelassen hat - außer einem Berg Leinenwindeln, einem Paar winziger Strickschühchen und einer Handvoll Erinnerungen, die mich wie Wundbrand zerfressen haben. Ich weiß nicht, was er einmal hätte werden können. Ob er mich wie meine Kinder mit den Jahren enttäuscht, verleugnet oder bekämpft oder sich in ihm mein Wunsch erfüllt hätte und er der kühne, über Zeit und Generationen hinausreichende Schatten meines Lebens geworden wäre - meine Herausforderung an die Zeit und den Tod.
Du hast es nicht zugelassen, Herr. Du bist dazwischengefahren, als er nicht mehr als eine Möglichkeit war, ein Geheimnis - großartiger und erhabener als alle Geheimnisse des Glaubens. Als ich ihn auf den Schoß nahm oder mir auf die Schulter setzte, ihn
durch den Gemüsegarten und über die Felder rings um unser Haus trug, als ich ihn aufforderte, die Brombeeren vom Strauch zu pflücken und er mich zaghaft und unschlüssig ansah, da fragte ich mich, was eigentlich im Kopf von Kindern vor sich geht - und ob sie in ihrem Innern bereits alles wissen. Vielleicht verfügen Kinder ja über die Gabe der Zukunft, zumal sie auch das Geheimnis der Zeit besitzen, das wir vergessen haben.
Jacometto war von Anfang an sehr zaghaft - als wäre er sich bewusst, ein schweres Risiko einzugehen. Nie entfernte er sich von Marietta
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