Tintorettos Engel
gern vor Augen hat. Die Bezahlung war anständig. Mit nur sechs Monaten Verspätung lieferte ich ihm die Kartons.
Die Ausführung der Fresken würden Pieter und Hans übernehmen, zwei junge Maler aus dem Norden, die ich zu jener Zeit als Gehilfen beschäftigte. Ich war mit ihrer Arbeit zufrieden. Sie jedoch brannten darauf, nach Rom zu gehen, aber da der geringe Lohn, den ich ihnen zahlte, vollständig für Vergnügungen draufging, saßen sie nach einer Weile in Venedig fest. Ich bot ihnen die Arbeit in der Villa an, um sie mir vom Hals zu schaffen, denn es behagte mir nicht, andere zu nah an mich herankommen zu lassen und ihnen mein Herz zu öffnen. Sie akzeptierten. Dennoch bat mich Morosini, ihm den - kläglich entlohnten - Gefallen zu tun und mir die Mühe zu machen, persönlich die Baustelle zu besichtigen, damit ich mir vor Ort ein Urteil über die Anordnung der Räume und die Lichtbedingungen bilden und, bevor die Bilder auf die Wände übertragen würden, gegebenenfalls Änderungen an den Kartons vornehmen konnte. Da ich mich damit rühmte, nichts dem Zufall zu überlassen und stets alles genauestens in Augenschein zu nehmen, willigte ich ein.
Normalerweise verließ ich Venedig nicht einmal für einen Tag. Davon abgesehen hatte ich zu tun. Die Jahresversammlung der Rochusbruderschaft stand bevor - deren Mitglied ich endlich geworden war. Es ging um die Zusammensetzung eines neuen Rates, und ich hatte meinen Förderern meine Stimme versprochen. Dank ihnen hatte ich nach fünfzehn langen Jahren endlich eine Gelegenheit bekommen: Nachdem sie mich Jahre zuvor für eine außerordentlich große Kreuzigung im Herbergssaal unter Vertrag genommen hatten, verpflichteten sie mich später - vom Ergebnis begeistert - für drei weitere Gemälde gleich daneben. Außerdem stand Faustina kurz vor der Entbindung: Wir erwarteten seit Tagen unser viertes Kind. Vielleicht waren aber auch genau dies die Gründe, aus denen ich einwilligte: um mich nicht bei den ehrsüchtigen Kaufleuten für ihre kleine Gefälligkeit kenntlich zeigen zu müssen und um nicht das Quäken eines Säuglings ertragen zu müssen, den ich in die Welt gesetzt hatte und zukünftig versorgen musste.
Bei Sonnenuntergang fuhren wir los. Feuchter Dunst war von der Lagune aufgestiegen und tröpfelte nun derart von oben herab, dass man Wasser und Himmel nicht mehr auseinanderhalten konnte. Alles war grau, kalt und nass. Zu viert - Pieter, Hans, Marietta und ich - rückten wir unter der Wachsdecke auf dem Kahn zusammen.«Ich will nicht schlafen», widersetzte sich Marietta, als ich sie aufforderte, sich in die Kabine zurückzuziehen,«ich will mir die herrschaftlichen Villen am Brenta ansehen.»Aber es war schon dunkel geworden, und während wir an den Anlegern vorbeiglitten, die in dieser unwirtlichen Jahreszeit verlassen dalagen, sah man nur, wie sich der weiße Marmor im Wasser spiegelte. Als wir in der Morgendämmerung aufwachten, waren wir bereits in Padua angekommen.
In der Poststation roch es nach Mist, Urin und Schweiß. Die Wände waren rußgeschwärzt, die Pritschen verdreckt, die Gäste allesamt betrunken, merkwürdige Gestalten und ein paar Soldaten,
die sich seit Wochen nicht gewaschen hatten und wie Hundeleichen stanken. Da Marietta Venedig noch nie verlassen hatte, schaute sie sich fasziniert um. Für sie war einfach alles großartig: die trostlose Ebene, die sich bis an den Horizont gleichförmig ausdehnte, die klumpigen Erdhügel, die sich wie Wellen auf der Erde kräuselten, das trübe Wasser in den Pfützen, das schlammverschmierte Vieh, das den Pflug über die Felder zog, und allem voran der Weg - matschige Pfade zwischen endlos langen Pappelreihen. Zwei Kuriere, die in der Ecke neben dem Kamin eine Lammkeule zerlegten, warnten uns vor der Weiterreise. Zu dieser Jahreszeit sei es besser, in Begleitung bewaffneter Männer zu reisen. Auch sie warteten noch auf ihren Geleitschutz. Wenn sie am nächsten Morgen abfuhren, könnten wir uns ihnen eine Weile anschließen.«Aber vier Männer wie wir, ohne Heller und Pfennig», antwortete ich und zog Marietta die Mütze über die Stirn,«wir besitzen nichts, das uns geraubt werden könnte. Mit vier Kartons wissen Räuber nichts anzufangen.»
Der Wagen überquerte eine endlose Weite aus Matsch. Bäume, abgelegene Häuser und Tiere tauchten hin und wieder aus dem Nebel auf und kamen wie Gespenster auf uns zu.«So groß ist die Republik also!», stellte Marietta nach zwei Stunden fest.«Sie ist viel
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