Tiphanie – Feuer der Sehnsucht
Es dauerte einen Moment, ehe sie begriff, dass es Leinenbinden waren, die einen Hundekopf bedeckten und ihn in ein komisches Zwitterwesen verwandelten. Leinenbinden, unter denen sie treue, unverkennbar kastanienfarbene Augen ansahen.
»Marron!«, wisperte sie fassungslos. »Dem Himmel sei Dank, du bist nicht tot!«
»Es ist ein reines Wunder, das er nur seiner Stärke zu verdanken hat!«, vernahm sie in diesem Moment eine vertraute Stimme, und Jannik de Morvan trat in ihr Blickfeld. »Kein Hund außer ihm hätte diese mörderischen Hiebe, ein Bad in der Vilaine und die Suche nach dir überlebt. Er hat uns zu deinem Versteck geführt!«
Tiphanie mied den intensiven dunkelblauen Blick in einer neuen Verlegenheit. So hatte er sie also wieder einmal vor dem sicheren Tod gerettet. Sollte sie ihm dafür wirklich dankbar sein? Sie hob trotz der Schmerzen in ihren Schultern die Hand auf Marrons Kopf. Er schien die federleichte Liebkosung zu spüren, denn er brach unverzüglich in eine Mischung aus närrischem Entzücken und begeistertem Fiepen aus.
»Was in drei Teufels Namen ist nur in dich gefahren, du dummer Hänfling, dass du dich in diese vermaledeite Zwickmühle gebracht hast? Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn wir nicht rechtzeitig ...«
»Wenn Ihr wollt, dass das Mädchen gesund wird, dann solltet Ihr es nicht aufregen, Messire!«, unterbrach der Schwermütige die Vorwürfe, noch ehe Jannik alles gesagt hatte, was ihn so wütend machte, dass er die Fäuste ballte, auch wenn es ihm gar nicht bewusst wurde.
Tiphanies Blick kehrte in das melancholische Antlitz zurück, zu dem auch eine hagere, gebückte Gestalt gehörte, die in einer Art dunklem Umhang steckte, der bis zum Boden reichte. Das runde Käppchen auf dem fast kahlen Schädel verwandelte den Mann vollends in ein Geschöpf aus einer anderen Welt. Trotzdem fühlte sie ein spontanes, umfassendes Vertrauen zu ihm. Ein Wissen darum, dass er nur ihr Bestes wollte und es auch gegen Jannik de Morvan durchsetzen würde. Im Augenblick eine durchaus angenehme Vorstellung für sie.
»Nun gut, ich beuge mich Euren Befehlen, Meister Tadéus!«, sagte Jannik de Morvan unerwartet kompromissbereit. »Ihr seid der Medicus. Ich werde mich um eine Sänfte kümmern und ...«
»Keine Sänfte.« Der Arzt schüttelte erneut den Kopf. »Die Demoiselle benötigt Ruhe und Pflege, das Geschüttel eines Transports wäre Gift für ihre Wunde. Lasst sie bei mir, bis es ihr bessergeht. Meine Frau wird sich gerne um sie kümmern, Ihr könnt versichert sein, dass es ihr an nichts mangeln wird!«
»Und der Hund?«
»Lasst ihn in Gottes Namen auch hier. Er sieht ohnehin so aus, als könne er eine Erneuerung seiner Verbände vertragen. Zudem bezweifle ich, dass er einen Schritt ohne seine Herrin tun wird.«
»Nun gut«, räumte der Seigneur ein und beugte sich über Tiphanie. Sie sah erbärmlich fahl und verstört aus, aber nicht mehr so, als würde sie jeden Augenblick für immer die Augen schließen. »Reden wir später über das, was gesagt werden muss. Im Augenblick ist nur wichtig, dass du wieder gesund wirst und in Sicherheit bist. Meister Tadéus ist der fähigste Medicus von ganz Rennes, bei ihm bist du in den besten Händen. Der Himmel möge dich behüten, petite! Ich werde morgen wieder nach dir sehen!«
Tiphanie schwieg. Nicht um ihn zu brüskieren, sondern weil ihr Herz bis in den Hals hinauf klopfte und ihre Stimme den Dienst versagte. Sie hatte ihre Meinung nicht geändert. Sie wollte ihn noch immer verlassen, aber sie konnte nicht verhindern, dass der besorgte Ausdruck in seinen Augen sich wie Balsam auf ihre wunde Seele legte. Wenn er sich um sie sorgte, dann konnte das doch nur bedeuten, dass er etwas für sie empfand ...
»Schlaf, Kindchen!«
Die Stimme des Medicus’ riss sie auseinander, und sie schluckte ohne Scheu den Trank, den er ihr in einem polierten Holzbecher reichte. Die dickliche, aromatische Flüssigkeit schmeckte ein wenig nach Honig, nach Anis und fremdartigen Gewürzen. Ihre Augen schlossen sich wie von selbst.
Jannik de Morvan musste sich gewaltsam zwingen, den Blick von diesem zitternden Fächer aus feinen Schatten zu nehmen, den ihre Wimpern auf die bleichen Wangen warfen. Er hätte sie fast verloren, und er stand noch immer unter dem unverhofften Schock der Erkenntnis, dass er es nicht ertragen hätte. Er hatte sich nicht so verletzbar, nicht so abhängig von ihr geglaubt. Ausgerechnet er, der sich doch geschworen hatte, nie wieder
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