Tiphanie – Feuer der Sehnsucht
den Raum. »Wir sind verraten!«
Tiphanie zuckte vor dem lästerlichen Fluch zusammen, der aus dem Mund ihres Peinigers kam. Sie atmete flach und kurz, um ihre Qual unter Kontrolle zu halten, und die wütenden Männerstimmen vermischten sich in ihren Ohren zu unverständlichem Lärm. Ein kurzer Anflug von Hoffnung fiel in sich zusammen, als Cocherel herumwirbelte und mit einem Hieb die Seile von oben bis unten durchschlug. Er streifte ihr Handgelenk und an der Hüfte drang das Messer durch das Gewand bis auf die Haut. Als er sie vom Stuhl riss, flog eine Spur tropfenden Blutes mit.
»Du kommst mit, Täubchen!«
»Das möchte ich bezweifeln«, entgegnete eine kühle, nur zu vertraute Stimme von der Tür. Tiphanies Kopf flog gerade rechtzeitig herum, um das Blitzen des Messers zu sehen, das auf den Mann im Lederwams zuflog, ehe es mit einem hässlichen Plopp bis zum Heft in seine Brust drang. Mit der Miene eines verständnislosen Kindes umklammerte der Söldner das Messer und brach ächzend zu ihren Füßen zusammen.
»Einen Schritt näher, und die Kleine ist tot!« Das Messer presste sich mit der vollen Schneide gegen Tiphanies Kehle, und sie wagte nicht einmal zu atmen. Der unmittelbare Körpergeruch des Mannes, der sie mit der anderen Hand um die Taille wie einen Schutzschild vor sich hielt, bereitete ihr Übelkeit. Sie konnte nur stillhalten und auf Jannik de Morvan starren, der mit gezücktem Schwert vor ihnen stand und eine schnelle Entscheidung zu treffen hatte.
»Ehe sie Euch nicht gesagt hat, wo Ihr das Kreuz von Ys findet, werdet Ihr der Kleinen kein Haar krümmen«, sagte er mit einer Überzeugung, der man seine Angst um Tiphanie nicht anhörte.
Der Laut aus Paskal Cocherels Kehle glich dem Fauchen eines Wolfes. Man nannte ihn nicht umsonst den Wolf von St. Cado. Tiphanie spürte seinen mörderischen Zorn, seine Gewalt und seine Entschlossenheit.
»Wer sagt Euch, dass sie das nicht längst getan hat, Schlaumeier?«
»Ich kenne das Mädchen!«
Die Sicherheit, mit der ihr Seigneur dies sagte, floss wie ein Stärkungsmittel durch Tiphanies Adern. Sie war nicht länger das schwache, bebende Opfer, für das alle sie hielten. Das eigene Leben bedeutete ihr wenig im Vergleich zur Unversehrtheit von Jannik de Morvan. Auch war sie nicht das blütenzarte Edelfräulein, das ihre zerbrechliche Figur den Menschen vorgaukelte. Sie hatte hart gearbeitet, und sie verfügte über sehnige Muskeln und die Geschmeidigkeit eines flinken Wiesels.
Als sie von einem Moment auf den anderen in sich zusammensackte wie eine Lumpenpuppe, hielt es Paskal Cocherel für eine Ohnmacht im unpassendsten Moment. Er riss das Messer zurück und versuchte, den Mädchenkörper zu halten, der im selben Augenblick wie ein wildes Pferd nach allen Seiten ausschlug. Das Überraschungsmoment war auf Tiphanies Seite. Sie brachte den Söldnerführer aus dem Gleichgewicht!
Jannik de Morvan nutzte die unverhoffte Chance und warf sich vorwärts. Sein Schwert schlug Cocherel mit Wucht das Messer aus der Hand. Aber als er eben den Arm zum tödlichen Hieb hob, drang ein leiser, weher Laut an sein Ohr. Abgelenkt suchten und fanden seine Augen Tiphanie. Im Schein der erlöschenden Fackel sah er sie stürzen. Das Messer hatte sie getroffen!
Die winzige Spanne der Ablenkung genügte Paskal Cocherel, um eine kaum vorhandene Chance zu nutzen. Er stieß den geschockten Ritter mit einem mächtigen Fausthieb zur Seite und suchte sein Heil in der Flucht. Ohne Waffe hatte er nicht die Absicht, sich einem Kampf zu stellen. Nicht einmal, wenn es um den Stern von Armor ging! Er musste fort, ehe dieser Kerl hinter ihm her jagte.
Er konnte nicht ahnen, dass der Eindringling gar nicht daran dachte, ihn zu verfolgen. Der Anblick der misshandelten Tiphanie, wie sie blutig und gefoltert zu Boden sank, hatte ihn bis ins Mark getroffen. Inzwischen war die Fackel völlig erloschen, und er konnte die junge Frau in der Finsternis nur mit seinen Händen ertasten. Wo war das Messer? Verdammt, es steckte in ihrem Oberschenkel! Das Blut rann unaufhaltsam über seine Hände ...
»Gütiger Himmel, Tiphanie! Meine Kleine! Nein, bewegt Euch nicht, lasst mich ...«
Mit der Routine eines schlachterprobten Kämpfers zog er in einem einzigen Ruck das Messer aus der Wunde. Dann schlug er die Stofffülle der Röcke hoch und versuchte den klaffenden Schnitt in der Dunkelheit zu versorgen.
Tiphanie wusste nicht, was er da tat. Sie schwebte jetzt tatsächlich am Rande einer Ohnmacht,
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