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Titan 09

Titan 09

Titel: Titan 09 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg , Wolfgang Jeschke
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Würfel war ein äußerst lehrreiches Spielzeug. Er unterrichtete Scott mit beunruhigender Rasanz – und er unterrichtete ihn sehr unterhaltsam. Aber er vermittelte ihm nicht wirklich neues Wissen. Er war noch nicht bereit dazu. Später… später…
    Emma wurde des ›Abakus’‹ überdrüssig und machte sich auf die Suche nach Scott. Sie konnte ihn nicht finden, auch nicht in seinem Zimmer; aber als sie schon einmal da war, wurde ihre Neugierde vom Inhalt seines Schrankes geweckt. Sie entdeckte den Behälter. Er enthielt einen kostbaren Schatz – eine Puppe, die Scott schon bemerkt, aber dann verächtlich beiseite gelegt hatte. Sie quietschte. Emma nahm die Puppe mit nach unten, hockte sich auf den Boden und begann sie auseinanderzunehmen.
    »Liebling, was ist das?«
    »Onkel Bär.«
    Ganz offensichtlich war es nicht Onkel Bär; der war blind, ohne Ohren, doch gemütlich in seiner rundlichen Weichheit. Aber für Emma hießen alle Puppen Onkel Bär.
    Jane Paradine zögerte: »Hast du sie einem anderen kleinen Mädchen weggenommen?«
    »Hab’ ich nicht. Sie ist meine.«
    Scott kam aus seinem Versteck hervor und steckte den Würfel in die Tasche. »Das ist von Onkel Harry.«
    »Hat Onkel Harry dir das gegeben, Emma?«
    »Er hat es mir für Emma gegeben«, warf Scott eilig ein und setzte damit einen weiteren Stein in seine Lügenkonstruktion. »Letzten Sonntag.«
    »Du machst sie kaputt, Liebes.«
    Emma brachte die Puppe zu ihrer Mutter. »Sie geht auseinander, siehst du?«
    »Oh? Sie… huch!« Jane zog die Luft ein. Paradine blickte schnell auf.
    »Was ist los?«
    Sie brachte ihm die Puppe, zögerte und ging dann ins Eßzimmer, wobei sie Paradine einen bedeutungsvollen Blick zuwarf. Er folgte ihr und schloß die Tür. Jane hatte die Puppe bereits auf den abgeräumten Tisch gelegt.
    »Das ist nicht sehr schön, nicht wahr, Denny?«
    »Hmm.« Auf den ersten Blick war es sehr unerfreulich. Eine anatomische Puppe hätte man in einer Medizin-Hochschule erwartet, aber eine Kinderpuppe…
    Das Ding zerfiel in Einzelteile, Haut, Muskeln, Organe; alle im Kleinformat, aber ziemlich perfekt, soweit Paradine sehen konnte. Sein Interesse erwachte. »Weiß nicht. Für ein Kind haben diese Dinge nicht die gleiche Bedeutung…«
    »Sieh dir die Leber an. Ist es eine Leber?«
    »Sicher. Sag mal, ich… Ist das nicht seltsam?«
    »Was?«
    »Sie ist auf jeden Fall anatomisch nicht vollkommen.« Paradine zog einen Stuhl heran. »Der Verdauungstrakt ist zu kurz. Kein Dickdarm. Und auch kein Blinddarm.«
    »Sollte Emma so etwas haben?«
    »Ich hätte nichts dagegen, selbst so etwas zu haben«, sagte Paradine. »Wo, um alles in der Welt, hat Harry das aufgetrieben? Nein, ich glaube nicht, daß es irgendwie schädlich ist. Erwachsene sind so erzogen, daß sie auf Eingeweide angewidert reagieren. Kinder nicht. Sie stellen sich vor, daß sie innen fest wie eine Kartoffel sind. Emma kann durch diese Puppe eine Menge über Physiologie lernen.«
    »Aber was ist das da? Nervenstränge?«
    »Nein, das sind keine Nerven. Hier die Arterien; dort die Venen. Eine merkwürdige Aorta…« Paradine stutzte. »Das… Was ist das lateinische Wort für Netzwerk? Egal… Rita? Rata?«
    » Rales «, schlug Jane aufs Geratewohl vor.
    »Das hat was mit der Atmung zu tun«, sagte Paradine gepreßt. »Ich kann nicht begreifen, was dieses aufleuchtende Netzwerk sein soll. Es erstreckt sich über den ganzen Körper, wie ein Nervensystem.«
    »Blut.«
    »Unsinn. Kein Kreislauf, kein Nervensystem… Komisch! Es scheint mit den Lungen verbunden zu sein.«
    Sie beschäftigten sich intensiver mit der seltsamen Puppe. Sie war mit bemerkenswerter Detailgenauigkeit gebaut; und das wiederum war im Hinblick auf die physiologischen Abweichungen seltsam. »Warte, ich hole das medizinische Handlexikon«, sagte Paradine, und schon verglich er die Puppe mit den anatomischen Faltblättern. Er erfuhr wenig daraus, doch seine Verblüffung nahm noch zu.
    Aber es war unterhaltsamer als ein Puzzlespiel.
    In der Zwischenzeit schob Emma im Nebenraum die Kugeln in dem ›Abakus‹ hin und her. Die Bewegungen erschienen nun nicht mehr so eigenartig. Selbst, wenn die Perlen verschwanden. Sie konnte ihrer neuen Richtung fast folgen… fast…
    Scott starrte herzklopfend in den Kristallwürfel und gab Gedanken-Befehle; beim Errichten einer Konstruktion, die weit komplizierter war als die, die eben vom Feuer zerstört worden war, machte er viele falsche Ansätze. Auch er lernte… wurde

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