Titan 11
›Ja, aber noch mehr wollte er, daß wir zusammenbleiben.‹
Sie sagte, wir sollten zurückkommen und darüber reden. Jane fragte Baby, und Baby sagte, es sei okay, also gingen wir zurück. Wir schlossen einen Kompromiß. Wir aßen nicht mehr in dem Eßzimmer.
Im Haus war eine große Veranda, solch eine mit Glasfenstern, mit einer Tür zum Eßzimmer und einer zur Küche, und von nun an aßen wir alle dort, und Miß Kew aß allein.
Aber wegen diesem ganzen Blödsinn passierte etwas Lustiges.«
»Und das war?« fragte Stern.
Ich lachte. »Miriam. Sie sah aus und benahm sich wie immer, aber zwischen den Mahlzeiten steckte sie uns immer Süßigkeiten zu. Wissen Sie, ich brauchte Jahre, um den Grund dafür herauszufinden. Ehrlich! Nach dem, was ich über die Menschen gelernt habe, scheint es zwei Armeen zu geben, die sich ihrer Rasse wegen bekämpfen. Eine kämpft für die Rassentrennung, die andere dagegen. Aber ich begreife nicht, warum beide deshalb solch ein Theater machen! Warum vergessen sie das nicht einfach?«
»Das können sie nicht. Siehst du, Gerry, manche Menschen müssen glauben, daß sie den anderen wegen diesem oder jenem überlegen sind. Du und Lone und die Kinder – ihr wart eine ziemlich enge Gemeinschaft. Habt ihr nicht geglaubt, daß ihr ein bißchen besser seid als der Rest der Welt?«
»Besser? Wieso sollten wir besser sein?«
»Nun, aber auf jeden Fall anders.«
»Ja, das glaube ich schon, aber wir haben nicht darüber nachgedacht. Anders – ja. Besser – nein.«
»Du bist ein einzigartiger Fall«, sagte Stern. »Und jetzt erzähl mir, was ihr noch für Ärger gehabt habt. Wegen Baby.«
»Baby. Ja. Nun, das war ein paar Monate, nachdem wir bei Miß Kew eingezogen sind. Damals fing es schon an, richtig nett zu werden. Wir hatten all diese Sätze gelernt – ›ja, Madam‹ und ›nein, Madam‹, und wir holten auch den versäumten Schulunterricht nach, jeden Morgen und jeden Nachmittag, fünf Tage in der Woche. Jane kümmerte sich schon seit langem nicht mehr um Baby, und wenn die Zwillinge irgendwohin wollten, dann gingen sie zu Fuß. Das war lustig. Sie konnten vor Miß Kews Augen von einem Ort zum anderen verschwinden, und Miß Kew wollte einfach nicht wahrhaben, was sie mit eigenen Augen sah. Sie regte sich immer nur darüber auf, daß sie plötzlich nackt waren. Sie hörten damit auf, und Miß Kew war glücklich. Sie war über einiges mehr glücklich. Seit Jahren hatte sie keinen Menschen mehr gesehen. Sie hatte sogar so ein Sprechding vor dem Haus, damit niemand hereinzukommen brauchte. Mit uns im Haus begann sie aufzuleben. Sie gab es auf, diese alten Kleider zu tragen und sah sogar wieder halbwegs menschlich aus. Manchmal aß sie sogar mit uns zusammen.
Aber eines schönen Tages wachte ich auf und fühlte mich wirklich schrecklich. Es war, als ob mir jemand während des Schlafes etwas gestohlen hätte, nur wußte ich nicht, was. Ich stieg aus dem Fenster und kletterte das Sims entlang in Janies Zimmer, was ich eigentlich nicht durfte. Sie war im Bett. Ich ging hin und weckte sie. Ich kann jetzt noch ihre Augen sehen, wie sie sich im Halbschlaf ein wenig öffneten und dann weit aufgerissen wurden. Ich brauchte ihr nicht zu sagen, daß irgend etwas nicht in Ordnung war, und sie wußte auch gleich, was.
›Baby ist weg!‹, sagte sie.
Uns war es egal, wen wir alles aufweckten. Wir trampelten aus ihrem Zimmer in die Eingangshalle und in den kleinen Raum am anderen Ende der Diele, wo Baby normalerweise schlief. Sie glauben es nicht, aber die hübsche kleine Wiege und die Kommode und all die Rasseln und so weiter waren verschwunden, und nur ein Schreibtisch stand dort. Ich meine, es war, als habe es Baby niemals gegeben.
Wir sagten kein Wort, rannten nur los und platzten in Miß Kews Schlafzimmer. Ich war bis dahin nur einmal dort gewesen, und Janie auch nicht viel öfter. Aber verboten oder nicht, das war uns piep egal. Miß Kew war im Bett, hatte das Haar zu Zöpfen geflochten. Sie war hellwach, bevor wir an ihrem Bett waren. Sie, setzte sich auf, bis sie mit dem Rücken gegen das Kopfende lehnte, und blickte uns finster an.
›Was hat das zu bedeuten?‹ wollte sie wissen.
›Wo ist Baby?‹ schrie ich sie an.
›Gerard‹, sagte sie, ›zum Schreien besteht kein Grund.‹
Normalerweise war Jane ziemlich still, aber nun sagte sie: ›Miß Kew, Sie verraten uns besser, wo es ist‹, und machte dabei ein Gesicht, daß man direkt Angst bekam.
Plötzlich war Miß Kews Gesicht
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