Titan 20
leicht auf das kleine, goldene Schiff.
Andro fühlte ihre Unruhe. Er war mit der neuen Regierungsstruktur beschäftigt, die er sorgfältig aufbaute. Es gab nur wenig, was sie mit ihm teilen konnte.
Sie erinnerte sich anderer Tage und anderer Zeiten und erkannte mit jedem Tag deutlicher, welch wilde und primitive Ära dies doch war.
An einem Ort, der Nicht-Ort war, in einer Zeit, die Nicht-Zeit war, hielt die Gedankenaufzeichnung an und wartete. Sie wartete, nicht im Sinne verstreichender Zeit, sondern im Sinne einer endlosen Unterbrechung. Die Intelligenz, die die Aufzeichnung lenkte, kannte keine Ungeduld. Andere endlose Berechnungen wurden fortgeführt. Aber die lenkende Intelligenz, die in einer endlichen, wenn auch variablen Raum-Zeit existierte, verspürte eine subtile Reizung.
Diese ganz spezielle Phase dieses ganz speziellen Problems war abgeschlossen. Die grundlegenden Fragen waren beantwortet. Eine unsichtbare Hand hatte in die ferne Vergangenheit hineingegriffen und die Wahrscheinlichkeiten verdreht, im Höchstmaße des Möglichen. Im einfachsten Sinne waren falsche Welten erschaffen worden. Die historischen Abweichungen waren abgewogen worden. In allen temporalen Richtungen waren Ursache und Wirkung abgemessen worden.
Und jetzt wurde der letzte Schritt des Problems in der Stasis festgehalten, einfach wegen einer beinahe unvorhersehbaren Laune einer Frau, die als struktureller Teil eines Experiments in der Unwahrscheinlichkeit selbst unwahrscheinlich war.
Er trat zu ihr, als sie an dem hohen Fenster stand und sagte: »Du mußt zurückkehren. Das weiß ich. Komm wieder, wenn es möglich ist, wenn du den Wunsch verspürst. Ich kann dich nicht länger als Gefangene hier festhalten.«
»Nicht als Gefangene, Andro.«
»Du mußt zurückkehren.«
»Ich werde wiederkommen, wenn ich kann. Du hast recht.«
Sie gingen zu dem goldenen Schiff, das auf sie wartete, an dem die Kabel bereits befestigt waren.
Sie drehte sich um, als sie durch die Luke trat, und hob zögernd die Hand. Ihre Augen waren feucht. Sie drehte sich schnell zu ihren Armaturen. Die Luke schloß sich hinter ihr.
Und dann, mit dem Peitschenknall ihres Abflugs, erloschen das Universum selbst, Andros Zeit und Ort und Städte und Sonnen und Planeten und Kriege und Geschichte – sie alle erloschen, als hätte ein Finger an den Lichtschalter getippt und einen Raum in Dunkelheit getaucht. Die Netze der Probabilität waren zusammengezogen, verdreht worden. Und jetzt hatte sich der Druck gelöst. Die Aufzeichnung war geschrieben, das Experiment abgeschlossen.
Die Wahrscheinlichkeit ist wie Plastik mit molekularem ›Gedächtnis‹. Man kann es verformen, aber sobald man es losläßt, kehrt es in seine ursprüngliche Gestalt zurück.
Dieses Zurückkehren wird eine Funktion der Zeit und des Raums sein. Tangentiale Welten können künstlich geschaffen werden. So lange der künstliche Druck beibehalten wird, wird es scheinen, als ›existierten‹ sie. Aber wenn der Druck nachläßt ...
Das Agentenschiff hatte sich in Ära 4 in die Kruste von Zeran gebohrt, hatte nicht genügend Kraft besessen, das einzig verbleibende Schiff zu retten, das Flaggschiff von Andros Flotte. Das beschädigte Flaggschiff sank tiefer, steuerlos. Solin, an den Kontrollen des Agentenschiffs, verfolgte das beschädigte Schiff auf seinen Bildschirmen und stieg durch die Planetenkruste höher, um in der Nähe zu sein, falls irgend etwas zu tun war. Er hielt das Agentenschiff sechs Meter unter der Erde, während das beschädigte Schiff mit einer mächtigen Erschütterung landete.
Calna trat hinter Solin und blickte über seine Schulter auf den Bildschirm. Ein kräftiger Mann taumelte durch den Riß in der Schiffshülle. Er zerrte ein bewußtloses, dunkelhaariges Mädchen hinter sich her. Sie sahen, wie er zum dunklen Himmel aufblickte, das Gesicht von Zorn und Wut verzerrt. Er tastete nach dem Pulsschlag am Hals des Mädchens und stand dann stumm da, die Schultern nach vorne gesunken, stoisch das Leid ertragend. Wieder suchte er den dunklen Himmel ab, dann rannte er in Richtung Stadt. Seine Wunden hatten ihn geschwächt. Er taumelte beim Laufen, aber er zerrte eine Waffe aus dem Halfter.
»Können wir ihn noch einmal retten?« fragte Calna ruhig.
»Nicht diesmal. Die haben ihn in die Stadt laufen sehen.«
»Wir könnten ihm wenigstens folgen und das Ende melden.«
Sie nahmen den tragbaren Bildschirm aus dem Regal, ließen das Schiff stehen, schnitten sich einen Weg durch
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