Titanen-Trilogie 01 - Das Erbe der Titanen
bezog. Bücher und Fernsehen waren Bestandteile der künstlichen und mythischen Sagenwelt, deren Existenz er an einem Tag glaubte und am nächsten wieder leugnete. Der Berg war vielleicht ein neuer Aspekt davon.
Da Sos seine Gedanken von dem Thema nicht losreißen konnte, gab es einen sehr praktischen Weg, sich davon zu befreien. Er wollte den Berg besteigen und selbst nachsehen. Wenigstens der Tod konnte doch nicht aus zweiter Hand stammen.
Dummerchen flatterte herum und suchte nach Insekten. »Flieg zurück, Vogelhirn«, riet ihm Sos. »Hier ist kein Plätzchen für dich.«
Der Vogel schien zu gehorchen, denn er flog außer Sichtweite. Sos gab sich seinen Tagträumen hin: Fernsehbilder, Eisenstangen, Solas düsteres Antlitz. Dann kam wieder die nebelhafte Ungewißheit über die Natur der Auslöschung, die er suchte.
Doch am kalten Morgen war Dummerchen wieder da. Sos hatte es geahnt.
Der zweite Tag des Aufstieges war leichter als der erste. Er , legte die dreifache Strecke zurück. Das monströs geformte Metall wich gepreßtem Schutt, der von Unkraut bewachsen war. Riesige Partien in Auflösung begriffenen Gummis, längliche Metallflächen, Teile uralter Stiefel, gebackene Tonfragmente, Plastiktassen und Hunderte von Bronze- und Silbermünzen. Das mußten Geräte der Vor-Brand-Zivilisation sein, wenn man den Büchern traute. Er konnte sich nicht vorstellen, wozu die monströsen Gummigebilde gedient hatten, doch alles andere erinnerte an die Gegenstände, die in den Herbergen aufbewahrt wurden. Von den Münzen nahm man an, daß sie Statussymbole gewesen waren. Besaß man viel davon, war das mit einem Sieg im Ring zu vergleichen.
Wenn man den Büchern trauen durfte!
Am Spätnachmittag fing es zu regnen an. Sos grub eine Tasse aus dem Boden, klopfte den Schmutz heraus und sammelte damit Regenwasser. Er war durstig, und der Schnee war noch weiter entfernt als erwartet. Dummerchen hockte auf seiner Schulter und ließ sich nur ungern naß regnen. Schließlich rückte Sos sein Gepäck so zurecht, daß der Vogel geschützt war.
Am Abend schwirrten viele Insekten herum, als hätte die Nässe sie ins Freie gezwungen. Sos trug ein Mittel gegen Moskitos auf, während Dummerchen emporschoß und sich für magere Zeiten schadlos hielt.
Sos hatte seine Gedanken auf sein Ziel konzentriert, doch jetzt, da der Berg den Reiz des völlig Neuen eingebüßt hatte, kehrten seine Gedanken zu den erregendsten Episoden seines Lebens zurück. Er dachte an die erste Begegnung mit Sol. Beide waren sie damals im Ring noch Neulinge gewesen. Beide wollten sie die Welt erkunden und tasteten sich vorsichtig auf dem Weg voran, den das Herkommen vorschrieb. Offenbar hatte Sol alle seine Waffen in sportlichen Wettkämpfen erprobt, bis er seiner sicher war. Nach ihrer abendlichen Diskussion hatte Sol seinen Weg des Aufstieges gesehen. Für beide war es danach kein Spiel mehr. Ihre Füße waren bereits der unsichtbaren Spur gefolgt, die den einen zur Macht führten und den anderen - zum Berg.
Er dachte an Sola, die damals ein unschuldiges Mädchen gewesen war - süß und eifrig darauf bedacht, sich durch einen Armreif zu bestätigen. Sie hatte sich bestätigt - aber nicht durch den Armreif, den sie trug. Das - mehr als alles andere - hatte ihn hierhergeführt.
Merkwürdig, daß sich alle drei gleichzeitig begegnen mußten! Wären nur die beiden Männer zusammengetroffen, hätte das Reich sie vielleicht - sogar jetzt noch - vereint. Wäre das Mädchen vorher oder später aufgetaucht, hätte Sos sie vielleicht für eine Nacht genommen, wäre dann weitergezogen und hätte sie nie vermißt. Aber es war eben ein Dreiertreffen gewesen, und das Reich des Mannes war in seiner Entstehung mit dem weiblichen Samenkorn der Zerstörung befruchtet worden. Es war nicht das Mädchen als solches gewesen, das dabei eine Rolle gespielt hatte. Sie war ein Element gewesen, das den Anfang beeinflußte. Warum war sie ausgerechnet in diesem Augenblick aufgetaucht!
Er schloß die Augen und sah vor sich die Stange - blendend, schnell, wie sie ihn blockierte, ihn traf, ihm begegnete, wohin er sich auch wenden mochte; kein Verteidigungsinstrument, sondern eine grausame Angriffswaffe.
Und jetzt der Berg, die einzige ehrenhafte Alternative. Er hatte gegen den Besseren verloren.
Er schlief mit dem Bewusstsein ein, daß nicht einmal sein Sieg eine Lösung gebrachte hätte.
Am dritten Tag fing der Schnee an. Sos umhüllte sich mit dem letzten schützenden Kleidungsstück
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