Titanen-Trilogie 02 - Die Kinder der Titanen
entgegentreten, nicht aus Angst, obgleich er wußte, daß der Herr ihn töten würde, nein, allein deswegen, weil er sein einziger wahrer Freund gewesen war.
Doch jetzt wußte er, daß es sein mußte. Der Herr würde die Verfolgung nicht aufgeben.
Sie wandten sich nordwärts, gingen sehr schnell und schliefen im Wald, auf den offenen Ebenen, auf der Tundra. Soli holte Vorräte aus den Herbergen, manchmal als Mädchen, dann wieder als Junge.
Und doch lief ihnen die Nachricht voraus. Immer wenn sie Fremden begegneten, zogen sie Blicke auf sich, die halbes Erkennen andeuteten. »Du mit der fleckigen Haut, bist du nicht derjenige, hinter dem der große Rächer her ist?« Aber diese Begegnungen stellten kein Hindernis dar, denn Var eilte ein verheerender Ruf voraus, und in diesem Gebiet, wo die Krieger nur ungenügend ausgebildet waren, beruhte dieser Ruf auf Tatsachen. Die wenigen, die ihn herausforderten, waren hinkende Beweise seiner Kampfkraft.
Und nur wenige ahnten, daß sein jugendlicher Begleiter ein noch gefährlicherer Gegner war, weil er über eine ausgefeilte Stock-Technik verfügte und überdies die waffenlose Verteidigung beherrschte. Nur wenn sie als Paar gegen ein anderes Paar kämpfen mußten, trat diese Eigenschaft zutage. Soli, die gegnerischen Hieben hervorragend auszuweichen verstand, focht hinter Var und um ihn herum, und die Gegner waren bald erledigt.
Nach zwei weiteren Monaten ziellosen Wanderns gelangten sie an das Ende des Irren-Gebietes. Mit den Herbergen war nun Schluß, und die von den Irren-Traktoren geebneten leicht begehbaren Wege endeten hier ebenfalls. Die Einöde wurde zu einer echten Wildnis. Und es war Winter.
Furchtlos stießen sie ins schneebedeckte Unbekannte vor. Es war ein wilder Dschungel kahlastiger Bäume, durchzogen von Wasserrinnen und Steinen, über die man stolperte. Und das alles unter einer ebenmäßigen weißen Decke. Als es dunkelte, setzte wieder Schneefall ein, sachte zunächst, später heftiger. Soli wurde mißmutig und still, denn hier war alles ungewohnt für sie. Noch nie zuvor war sie mit Schnee in Berührung gekommen. Sie war ja nie oberhalb der Schneegrenze aus dem Berg gekommen. Für sie war er etwas Weißes, aber nicht unbedingt Kaltes oder Unbehagliches. Var merkte, daß die rauhe Wirklichkeit ihr zu schaffen machte und sie ängstigte, weil sie mit den Füßen einsank und ihr die kalte Nässe ins Gesicht flog.
Var grub ein Loch in den Schnee, bis er auf die noch nicht gefrorene Grasnarbe stieß. Rundherum schichtete er eine Mauer aus zusammengepreßtem Schnee auf. Auf den Boden breitete er eine Decke, darüber setzte er ein Zelt, auf dem sich der Schnee aufhäufen konnte. Bis auf eine Öffnung für die Atemluft machte er dieses Gebilde dicht und schaffte sie hinein. Er streifte ihr die Stiefel ab, leerte das eingedrungene Wasser aus und knetete ihre Füße, bis sie sich endlich wieder erwärmten. Sie ließ ihren Tränen längst nicht mehr so freien Lauf wie zu Beginn ihrer Bekanntschaft, und das bedauerte er, denn nun blieb das Elend in ihr stecken, und sie wurde es lange nicht los.
Nach dem Essen hielt er sie an sich gedrückt und versuchte sie zu trösten. Allmählich beruhigte sie sich und schlief ein.
Am Morgen aber war sie nicht wachzubekommen. Beunruhigt zog er sie trotz der Kälte ganz aus, trocknete sie ab und entdeckte schließlich die Einstichstelle: Am blauen Fußknöchel knapp über ihrem unbeschuhten Fuß. Etwas Ähnliches wie ein Ödland-Falter hatte sie unbemerkt gestochen. Hatten sie ihr Lager etwa nahe einer Strahlungsrandzone aufgeschlagen? So weit entfernt, daß seine Haut nichts merkte, aber doch so nahe, daß typische Tiergattungen schon in Erscheinung traten? Wäre die Gegend nicht verschneit gewesen, hätte er sie womöglich erkannt. Wahrscheinlich gab es hier überwinternde Larven, die durch die Körperwärme zur Aktivität erwacht waren. Eine hatte zugestochen und Soli lag nun im Koma.
Zu dieser Jahreszeit und in dieser Gegend gab es kein Heilkraut, das ihren Zustand lindern konnte. Dazu kam ihre geringe Körpergröße. Hatte sie zuviel von dem Gift abbekommen, dann würde sie schlafen, bis sie starb. Eine kleine Dosis konnte sie überleben – wenn sie es ausreichend warm und trocken hatte.
Der Schneesturm war abgeflaut, würde aber wiederkommen. Und während der Nacht würde es wieder bitter kalt werden. Aber auch so war dies nicht der geeignete Ort für eine Kranke. Er mußte sie in eine geheizte Herberge schaffen.
Er
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