Titanic - Wie ich den Untergang ueberlebte
Offizieren.
Es ist
wichtig an dieser Stelle anzumerken, daß sich die Titanic auf ihrer
vorschriftsmäßigen Route befand, der südlichen, und auf einer Position, welche
unter normalen Bedingungen und zu dieser Jahreszeit die Vorsicht als sicher
gebietet. Um ganz genau zu sein: sie fuhr sechzehn Meilen südlich * der regulären Sommerroute, der alle Gesellschaften
von Januar bis August folgen.
Vielleicht
beginnt die eigentliche Geschichte des Unglücks am Nachmittag des Sonntag, als
die Titanic Funktelegramme von Schiffen empfing, die sich ihr voraus
befanden und die sie vor der Existenz von Eisbergen warnten. In diesem
Zusammenhang muß an den deutlichen Rückgang der Lufttemperatur erinnert werden,
den jedermann am Nachmittag und abends beobachtete, ebenso wie die sehr
niedrige Wassertemperatur. Diese werden allgemein ohne den geringsten Zweifel
als Beweis dafür gehalten, daß wir uns in einem Gebiet mit Eisbergen befanden.
Die schwersten Vorwürfe wurden auf die Schultern der Offiziere und des Kapitäns
geladen, dieser klimatischen Gegebenheit nicht genug Rechnung getragen zu
haben, aber Vorsicht ist hier angebracht! Es kann heutekaum Zweifel
daran geben, daß die beobachteten niedrigeren Temperaturen auf die Anwesenheit
von Eisbergen deuteten und man daraufhin Eisfeldern begegnete, aber erfahrene
Seeleute wußten von Temperaturänderungen, auch ohne daß Eisberge in der Nähe
waren. Der kalte Labradorstrom fließt bei Neufundland südwärts quer durch die
Routen der Atlantikschiffahrt, führt aber nicht notwendigerweise Eisberge mit
sich. Kalte Winde blasen auch von Grönland und Labrador und nicht nur von
Eisbergen und Eisfeldern. So kann man sagen, daß der Rückgang von Luft- und
Wassertemperaturen kein unmittelbarer Beweis für das Vorhandensein von nahen
Eisbergen sein muß. Andererseits wird ein einzelner Eisberg, weit weg von
anderen, vielleicht ein Schiff zum Sinken bringen, aber sicherlich weder die
Luft- noch die Wassertemperatur absenken. Außerdem, wenn der Labradorstrom auf
den warmen Golfstrom trifft, der vom Golf von Mexiko hinüber nach Europa
fließt, müssen sie sich nicht unbedingt mischen. Sie fließen auch nicht Seite
an Seite oder übereinandergeschichtet, doch oft ineinander verwunden, wie die
Finger zweier Hände. Wenn ein Schiff dieses Gebiet durchquert, wird sein
Thermometer innerhalb weniger Meilen zum Beispiel 34, dann 58, oder 35, dann 59
[Grad Fahrenheit] anzeigen, und so weiter [entsprechend 1,1; 14,4; 1,7; 15 Grad
Celsius]. So wundert es wenig, wenn Seeleute üblicherweise den
Temperaturverhältnissen nur geringes Vertrauen entgegenbringen als Aussage
bezüglich der Möglichkeit, daß sie Eis auf ihrer Route antreffen werden. Ein
erfahrener Seemann hat mir erzählt, daß es kaum etwas Schwierigeres gäbe, als
das Vorhandensein von Eisbergen zu diagnostizieren. Eine gewichtige Bestätigung
findet sich dazu in den offiziellen Segelanweisungen des Hydrographischen
Dienstes der Britischen Admiralität: »… Es kann keine zuverlässige Art der
Warnung an den Seefahrer bezüglich des Vorkommens von Eis vermittelt werden,
weder durch das Fallen der Wasser- noch durch das der Lufttemperatur.
Gelegentlich ist über das Zurückgehen der Temperaturen berichtet worden, aber
noch öfter ist auch nichts davon beobachtet worden…«
Aber die
Bekanntgabe der genauen Position von Eisbergen durch Funktelegramme ist ein
gewichtiges Anzeichen. Ich erinnere mich deutlich daran, welche Auswirkungen
diese Information bei uns hervorrief, als sie allgemein an Bord der Carpathia bekannt wurde. Gerüchte darüber liefen am Mittwochmorgen herum, wuchsen zu
gesicherten Aussagen am Nachmittag und wurden bestätigt durch Offiziere der Titanic, die die Wahrheit auf direktes Befragen zugaben. Ich werde nie das
überwältigende Gefühl der Hoffnungslosigkeit vergessen, als wir diese
Bestätigung der Warnhinweise erhielten. Es war also nicht ein unabwendbarer
Unfall, wie wir bis dahin dachten. Das plötzliche Vorstoßen in ein Gebiet mit
gehäuft auftretenden Eisbergen hätte vermieden werden können, denn kein
Seemann, egal wie geschickt er auch immer zu navigieren imstande wäre, hätte
ihnen ausweichen können. Die wundervolle Titanic, zu stark beschädigt,
um sie zu retten, die Schreie der Ertrinkenden, die uns noch in den Ohren
klingen, und die Tausende von Heimstätten, in denen alle diese traurigen
Geschicke betrauert werden – alles dieses hätte nicht zu passieren brauchen!
Es ist nicht
übertrieben
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