TITANIC-WORLD
Etwas Kühles, Unnahbares lag in ihrer Haltung. Es würde eine Herausforderung sein, die Kleine in sein Bett zu bekommen. Unauffällig ließ Craig seinen Arm aus Mandys Griff gleiten. Er entdeckte das kleine Namensschildchen am Revers der Sky Reporterin, schenkte Mandy ein charmantes Lächeln und wandte April Eastman seine ganze Aufmerksamkeit zu.
Es war schon kurz nach vier, als sich die Türen des Vorführungsraumes hinter Claires Journalistengruppe schlossen. Als sie vor zehn Minuten auf dem D-Deck angekommen waren, stellte sich heraus, dass weder Cecilia noch Craig es geschafft hatten, ihren Rundgang pünktlich zu beenden. Claire überlegte kurz, ob sie noch eine Weile auf die Anderen warten sollte und entschied sich dagegen. Sie konnte nicht einschätzen, wann Cecilia oder Craig kamen und es war für ihre Journalisten angenehmer, nach der Vorführung des Cyber-Adventures im Rauchsalon , bei einem Drink auf die anderen beiden Gruppen zu warten. Während sich das Foyer langsam in Richtung Vorführungsraum II. leerte, griff Claire zum Bordtelefon. Sie informierte zuerst das Personal im Rauchsalon über die Verspätung und dann das Restaurant. Danach ließ sie sich aufatmend in einen der Korbstühle sinken und genoss die Stille.
Ihre Führung durch die TITANIC-WORLD war erfolgreich gewesen. Das Bootsdeck, auf dem Claire mit dem Rundgang begonnen hatte, versetzte die meisten ihrer Journalisten gleich in eine nostalgisch-romantische Stimmung. Im Gymnasium hatte es viel Gelächter über die altmodischen Fitness-Geräte gegeben und zu Claires Erstaunen, waren viele begeistert der Aufforderung gefolgt, einen Ritt auf dem elektrischen Kamel oder Pferd zu wagen. Ihre Reaktionen hatten sehr zu der guten Atmosphäre beigetragen, die sie während der gesamten Führung begleitete. Die Einfachheit der Brücke und des Marconi-Raumes hingegen, erstaunte alle. Mann, oh, Mann, hatte ein amerikanischer Journalist ausgerufen. Verglichen mit der TITANIC wirkt die Brücke eines modernen Cruisers, wie die Kommandozentrale der U.S. Navy. Zustimmendes Gemurmel und Gelächter begleiteten seine Äußerung. Eine noch sehr junge Reporterin aus Finnland sah sich verwundet um. Keine Wetterstation, kein Radar – sie schüttelte ungläubig den Kopf und wandte sich fragend an Claire: „Wo waren noch mal die Augen des Schiffes ?“
„Kommen Sie mit. Ich zeig es Ihnen.“ Claire führte sie zurück an Deck und wies auf den Vormast mit Krähennest. „Genau wie die Brücke und der Marconi-Raum, so war auch das Krähennest während der Reise rund um die Uhr besetzt. Es gab sechs Ausgucks auf der TITANIC. Sie arbeiteten paarweise und hatten jeweils zwei Stunden Wache, dann vier Stunden Freiwache, dann wieder zwei Stunden Wache undsoweiter. Über eine schmale Leiter im Inneren des Mastes gelangten sie nach oben. Ihre Aufgabe bestand darin, Ausschau nach etwaigen Hindernissen zu halten, die den Weg des Schiffes kreuzten. Es war üblich, die Glocke bei Gefahr dreimal zu läuten und laut zu rufen. Auf der TITANIC gab es zusätzlich noch ein Telefon, dass das Krähennestdirekt mit der Brücke verband.“
„Aber Ferngläser hatten die Jungs da oben nicht“, warf der amerikanische Reporter ein. „Wen wundert’s, dass die den Eisberg nicht rechtzeitig sehen konnten.“
„Ja, das Fehlen der Ferngläser ist von Anfang an kritisiert und diskutiert worden“, stimmte Claire zu. „Aber wie bei den meisten Fakten rund um die Unglücksnacht, so waren auch die fehlenden Ferngläser allein nicht aussschlaggebend.“
„Nee, zu schnell ist sie ja auch gefahren, die gute, alte TITANIC!“
„Nun, darauf könnte ich Ihnen eine ähnliche Antwort geben.“ Claire lächelte in die Runde und fuhr fort: „Der Mensch ist im Allgemeinen so veranlagt, dass, wenn ein Unglück geschehen ist, er auch den Schuldigen finden muss. Im Falle der TITANIC konnte die Schuldfrage jedoch niemals eindeutig geklärt werden. Sämtliche Untersuchungen am Wrack, das Studieren der Zeugenaussagen und die Auswertung der Berichte von Überlebenden haben uns lediglich erlaubt, ein wahrheitsnahes Bild von den Geschehnissen zu bekommen. Doch letztendlich könnte uns nur das Logbuch wirklich darüber Auskunft geben, was in jener Nacht geschah. Wäre das Logbuch jemals gefunden worden, so wüssten wir, ob wirklich Eiswarnungen ignoriert wurden, ob die TITANIC wirklich zu schnell fuhr oder ob es andere Unstimmigkeiten gegeben hat, die zu dem enormen Ausmaß der Katastrophe beigetragen
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