Titanus
Lazzarri erzählte, erhob sich Sonnenglanz und stellte kleine Schalen auf den Tisch. In einer kugelförmigen Kanne brachte sie ein titanisches Getränk.
»Unsere Frauen würden keine Männer eines fremden Planeten von der Straße weg entführen«, sagte Lazzarri halb scherzhaft, halb ernst.
»Du gefällst mir, ich gefalle dir – das ist doch alles sehr einfach. Wenn man sich liebt…«
»Zur Liebe gehört mehr, Sonnenglanz, man muß sich kennen, muß sich verstehen.«
»Verstehen wir uns nicht?« fragte sie sanft und setzte sich an seine Seite.
»Anders, Sonnenglanz, man muß wissen, was…« Er verstummte. Sollte er ihr die Liebe erklären? Das hatten viele schon versucht. Wem aber war es gelungen!
Sie hob die Kanne, um ihm einzuschenken, doch Lazzarri wehrte ihr zart. »Wenn du Wasser hast, trinke ich gern.« Wußte er, was für ein Getränk das war, ob er es vertrug? Das Wasser war genießbar! Mit einem Male wurde er sich bewußt, wie fremd sie sich waren. Es war ja nicht nur das Verstehen… Was wußte er denn von ihr, von ihren Lebensverhältnissen?
»Erzähle mir von dir«, bat er. »Wie lebst du, was macht dein Vater, deine Mutter? Ich bemerkte, wie der Wächter verschwand, als du auf das Zeichen am Wagen deutetest – weshalb?«
»Mein Vater ist oberster Gebieter der Stadt«, erklärte Sonnenglanz und fügte hinzu, daß sich der Wachmann nicht hätte erlauben dürfen, sich ihrer Anweisung zu widersetzen.
Das verstand Lazzarri nicht. Wieso hatte die Tochter des Bürgermeisters Befehlsgewalt?
So ergaben sich Fragen, und jede Antwort von Sonnenglanz löste neue Fragen aus. Doch obwohl Sonnenglanz geduldig seine Fragen beantwortete und sich mühte, ihm alles zu erklären, weil sie offenbar spürte, daß dieses Gespräch für ihn eine Brücke war, eine Brücke zu ihr – ein vollständiges Bild erhielt Lazzarri nicht. Er gewann lediglich den Eindruck, als sei die unerbittlich voranschreitende Zeit auf diesem Planeten eingeschlafen. Alles schien auf der Stelle zu treten. Ein Vorwärtsstürmen, wie er es von der Erde kannte, gab es hier nicht. Aber war so etwas möglich: ewiger Stillstand, ein Leben ohne Veränderung? Es mußte doch eine gesellschaftliche Entwicklung geben, auch wenn die Titanen einst als Angehörige derselben Klasse hierhergekommen waren. Hier mußte er anknüpfen, vielleicht ergab sich ein Anhaltspunkt.
»Wann kamen deine Vorväter auf diesen Planeten?«
»Mein Vatersvater erlebte diesen Flug als junger Mann«, erwiderte sie.
Vor zwei Generationen! Eine Station hatten sie schon vorher hier, aber es war eine Außenstation, wie sie die Erde auf dem Mond und den meisten Planeten des irdischen Sonnensystems unterhielt. »Wer hat denn diese Stadt aufgebaut, Sonnenglanz? In zwei Generationen!«
»Die Städte wurden von den Wildgeborenen gebaut.«
Hatte es hier Ureinwohner auf niederer Entwicklungsstufe gegeben? Wo waren sie? Hatten sie sich mit den Titanen vermischt? Lebten sie außerhalb des Gebietes, das die Menschen erforschen durften?
»Sie sind vergangen!«
»Wie vergangen?«
Ihre Gedanken gaben die Antwort, die ihm ihr Mund verschwieg. Umgebracht!
»Weshalb seid ihr so barbarisch?« fragte er entsetzt. »Weshalb seid ihr so falsch? Sprecht von Zusammenarbeit – und beschränkt uns auf ein kleines Gebiet! Städte gibt es, weshalb verbergt ihr sie? Als wir landeten, habt ihr uns doch freudig aufgenommen und eingeladen!«
»Weshalb trübst du den Glanz dieser Stunde?« fragte sie traurig. »Was geschah, daß dein Blick mich kalt betrachtet?«
»Was nützt mir die glänzende Schale, wenn sie einen düsteren Kern verbirgt?«
»Der Zorn verwirrt deine Gedanken. Bin ich barbarisch? Ihr seid nicht gleich, und wir sind es nicht! Nicht ich habe die Wildgeborenen auf die Schattenseite unseres Planeten getrieben, nicht ich habe das berstende Feuer in ihre Siedlungen geworfen und sie in Asche verwandelt!
Ich verbiete euch nicht die andern Städte, und mich interessiert auch nicht euer Geheimnis, denn ich brauche eure Kraft nicht. Was nützt es mir, wenn die Niedergeborenen auf unserem Heimatplaneten zu Staub zerfallen? Ich will es nicht, und viele von uns Jungen wollen es nicht. Wir wollen auch nicht die Startbahnen der Feuerpfeile, denn wir brauchen nicht die Schätze unseres Heimatplaneten.«
Lazzarri setzte die Kappe ab. Er mußte denken können, allein, ohne von Sonnenglanz gehört zu werden.
Feuerpfeile – Startbahnen – also gab es Raketenabschußbasen! Beschränkte man deshalb ihr
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