TITLE
»O, Sie können sagen: mit der meinigen, denn dieselbe ist mit der dieser Tiere so innig verflochten, daß keine von der andern getrennt werden kann. Denken Sie sich, daß ich gestern, als ich im Garten spazieren gehe, einer armen Frau begegne, welche vor mir stehen bleibt und sagt: ›Mein Herr, man hat mir gesagt, ich sollte hierhergehen, wenn ich dem König begegnen wollte. Glauben Sie, daß er bald vorbeikommt?‹– ›Nichts ist wahrscheinlicher als dies, gute Frau.‹« – »Aber wie wird er gekleidet sein, damit ich ihn erkenne?« – Ich hatte Lust, ihr das Signalement von San Marco oder Ascoli zu geben; ich zog es jedoch vor, das Abenteuer zu Ende zu verfolgen. – »Höret,« sagte ich, »da der König nicht alle Tage spazieren geht, und Ihr daher warten könntet bis zum Abend, ohne daß er vorüberkäme, so wollen wir etwas Besseres tun. Wenn Ihr ihm vielleicht eine Bittschrift zu überreichen habt, so will ich dieselbe zur Beförderung übernehmen.«
»Da würden Sie mir allerdings einen großen Gefallen tun,« sagte die gute Frau. »Ich bin eine arme Witwe und habe weiter nichts als drei Truthühner; wenn Sie aber Wort halten, so will ich Ihnen dieselben geben.« – »Sind sie fett?« fragte ich, dennSie können sich denken, daß ich nicht Lust hatte, die Katze im Sacke zu kaufen.« – »Jawohl, fett wie Gänse, mein Herr,« antwortete die Frau. – »Nun gut, dann ist die Sache abgemacht. Kommt morgen mit Euren drei Truthühnern. Habt Ihr Eure Bittschrift bei Euch?« – »Ja.« – »Dann gebt sie her, morgen werde ich sie Euch mit dem darauf geschriebenen Beschluß des Königs wieder zustellen. Ich gebe Euch Eure Bittschrift zurück, Ihr gebt mir die drei Truthühner und wir sind quitt.« – »Sie können sich denken meine Damen, daß ich nicht verfehlt habe, mich zur rechten Zeit einzufinden. Ich hatte einen Mann als Schildwache aufgestellt, und sobald als er kam und mir sagte: »Es ist eine Bäuerin mit drei Truthühnern unten,« ging ich hinunter, gab der guten Frau ihre von mir mit Resolution versehene Bittschrift zurück und sie übergab mir ihre drei Truthühner. Die arme Frau! Ich fürchte sehr, daß sie dieses Opfer vergeblich gebracht hat.« – »Warum?« – »Weil die Richter auf meine Empfehlung keine sonderliche Rücksicht nehmen werden. Diesmal aber bin ich entschlossen, wenn es sein muß, einen Staatsstreich auszuführen, damit man dieser armen Witwe Gerechtigkeit widerfahren lasse – das heißt, wenn ihre Truthühner wirklich fett sind.« – Und der König ging, in ein lautes Gelächter ausbrechend, wieder hinaus und nahm seine drei Truthühner mit, um sie selbst in die Küche zu tragen.
Die Königin sah ihm mit einem unbeschreiblichen Ausdrucke von Verachtung nach, richtete dann ihren Blick wieder auf mich und sagte: »Sie haben ihn gesehen; etwas Weiteres brauche ich nicht hinzuzufügen.« Meine Augen weilten nun auf ihr selbst und ich betrachtete sie mit der größten Aufmerksamkeit. Sie war, wie sie gesagt hatte, siebenunddreißig Jahre alt, so daß bei ihr schon die Schönheit der Matrone auf die der jungen Frau folgte. Sie besaß den weißen Teint der Frauen des Nordens, wunderschönes blondes Haar, blaue Augen, welche fähig waren, jeden Ausdruck, von dem der zärtlichsten Liebe bis zu dem des glühendsten Hasses, wiederzugeben. In letzterem Falle besaß ihr Gesicht eine Härte, welche man ihm nimmermehr zugetraut hätte. Die Nase war gerade und gut geformt und der Mund, obschon schön, doch durch jenes den Prinzessinnen aus dem Hause Österreich eigentümliche Hervorragen der Unterlippe ein wenig entstellt. Die Schultern, die Arme und die Hände waren prachtvoll, dabei aber ließ die Gewohnheit der königlichen Majestät all' diesem eine Steifheit, welche die Königin der Anmut des Weibes in hohem Grade beraubte. DieItaliener haben für diese Art von Anmut, welche in Italien ganz besonders mangelt, ein Wort geschaffen. Sie nennen sie Morbidezza Die nachlässige Grazie der Kreolinnen würde davon den vollständigsten Begriff geben. Während ich die Königin betrachtete, tat sie in bezug auf mich dasselbe und schien mich ebenso genau zu mustern wie ich sie. Es erwachte in uns beiden gleichzeitig derselbe Gedanke. Wir fingen beide an zu lachen. Sie umschlang mich mit ihren Armen, drückte mich an sich und küßte mich mit einem Ungestüm, welches man eher von einem Liebhaber als von einer Freundin erwartet hätte. Ich stutzte. Es erinnerte mich dies an Miß Arabellas
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