TITLE
Tasche.
»Mein Onkel ist unbeugsam,« sagte er dann. »Er verlangt unsere sofortige Trennung.«
– »Hatte ich es nicht gesagt?« –
»Wenn mir,« fuhr Charles fort, »uns dazu verstehen, so sichert er jedem unserer Kinder fünfhundert Pfund Renten, die im Todesfalledes einen auf die überlebenden Kinder vererben. Mir gewährt er auch ferner eine Rente von fünfzehnhundert Pfund und dir erstattet er die zehntausend Pfund Sterling wieder, welche wir zusammen vertan haben.« – »Und was haben Sie darauf geantwortet?« – »Ich habe mich geweigert.« – »Was ist das für ein Brief?« – »Ein Brief an dich.« – »Von Ihrem Onkel?« – »Ja, von meinem Onkel.« – »Lesen wir ihn.« – »Er ist für dich allein bestimmt und ich habe versprochen, daß du ihn allein lesen sollst.« – »Geben Sie her.« – »Soll ich dir etwas sagen?« fuhr Charles fort, indem er mich mit wehmütigem Blick betrachtete. – »Was ist es?« – »Mein Onkel liebt dich.« – Ich erschrak. – »Sie sind von Sinnen, Charles.« – »Nein, ich wollte darauf schwören.« – Ich ließ den Kopf auf die Brust herabsinken. Ein Blitz durchzuckte mich. Ich dachte an den Auftritt des vorigen Tages, an die bewundernden Blicke Sir Williams, an den schmeichelnden, liebkosenden Ton, in welchem er zu mir gesprochen. Ich näherte mich mit dem Briefe in der Hand dem Kamin und wollte ihn ins Feuer werfen. Charles tat mir Einhalt. »Emma,« sagte er in ziemlich festem Tone zu mir, »gestern warst du es, welche mich ermutigte, Mann zu sein, und ich war es, der allem Widerstand leistete, was du mir in bezug auf das Interesse unserer Kinder und das meinige sagen konntest. Heute bin ich es, der zu dir sagt: Emma, lies diesen Brief und denke über die darin enthaltenen Anträge reiflich nach, denn ich bezweifle nicht, daß wirkliche Anträge darin enthalten sind. Der Augenblick ist entscheidend, und wenn ich gestern das Recht zu haben glaubte, über mein Schicksal und das meiner Kinder zu verfügen, so glaube ich dagegen heute nicht das Recht zu besitzen, über das deinige zu verfügen und ein Hindernis für deine Zukunft und dein Glück zu sein.« Ich betrachtete Charles mit Erstaunen, da ich aber den Edelmut seines Herzens kannte, so war ich über den Beweggrund, der ihm diese Worte eingab, keinen Augenblick lang in Zweifel. »Ich habe,« hob er wieder an, »meinem Onkel versprochen, dir vollkommene Freiheit zu lassen, diesen Brief zu lesen. Lies daher, liebe Emma, und wenn er, wie ich nicht bezweifle, das Ultimatum meines Onkels ist, so entscheide über unser Schicksal.« Und indem er mich mit Tränen in den Augen umarmte, begab er sich in das Schlafzimmer und ließ mich in dem Salon allein.
Einen Augenblick lang blieb ich zitternd, während der Schweiß mir auf die Stirne trat, stehen. Dann taumelte ich und sank in einen Lehnsessel. Ich begriff in der Tat, daß ich unseraller Schicksal in den Händen hatte. Ich öffnete den Brief, aber ich konnte nicht sogleich lesen. Meine Augen waren wie von einer Wolke umflort. Allmählich wurden die Buchstaben sichtbarer, mein Blick ward frei und ich las:
»Mademoiselle! Ich habe seit gestern mit der ganzen Kälte und Ruhe nachgedacht, die man selbst in meinem Alter bewahren kann, nachdem man Sie gesehen. Die Leidenschaft meines Neffen erklärt sich durch Ihre Eigenschaften, Ihre Vorzüge, mit einem Wort durch den Zauber Ihrer Person. Ich begreife nicht bloß, daß man Sie liebt, sondern auch, daß man Sie ewig liebt. Es gibt jedoch im Leben Verhältnisse, gegen welche es Wahnsinn wäre, kämpfen zu wollen, weil man vergebens versuchen würde, sie zu besiegen. Diese Verhältnisse haben wir gestern gemeinschaftlich besprochen und sie liegen in den Geständnissen, welche Sie mit so vieler Offenheit mir getan. Bedenken Sie selbst und sagen Sie mir, ob es möglich ist, daß Sie in derselben Stadt, welche Sie nach der Reihe als Sir John Paynes und Sir Harry Feathersons Maitresse, als Grahams Bundesgenossin, als Romneys Modell gesehen, die Gattin des Lord Greenville werden, auf die Gefahr hin, bei jedem Schritt, den Sie in den Straßen von London tun, einer Erinnerung an jene Vergangenheit zu begegnen, gegen welche alle Ihre Reue nichts vermag und die selbst durch die Allmacht Gottes nicht verwischt werden könnte. Ihre Ehe mit meinem Neffen wäre – selbst vorausgesetzt, daß ich dareinwillige und seine Stellung sichere – Ihr Unglück und das Unglück Ihrer Kinder. Sie sind fünfundzwanzig Jahre alt –
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