TITLE
Sie haben mir Ihr Alter selbst gesagt, denn meine Augen hätten Ihnen höchstens achtzehn gegeben – Sie sind fünfundzwanzig Jahre alt, mein Neffe ist erst vierundzwanzig und folglich ein Jahr jünger als Sie. Er tritt erst in das Alter der Leidenschaften. So schön, so verführerisch, so vollkommen Sie auch sind, so ist es gleichwohl möglich, daß er Ihnen später einmal untreu wird, und daß er dann Äußerungen der Reue über das Opfer fallen läßt, welches er Ihnen gebracht zu haben glaubt. Wenn Sie ihn, den ruinierten Mann ohne Zukunft, jetzt heiraten, so ist das Opfer auf Ihrer Seite, dies weiß ich wohl und ich bin der erste, der dies anerkennt. In den Augen der Welt dagegen würde das Opfer auf seiner Seite sein. Aus diesen Gründen mache ich Ihnen den Vorschlag: Werden Sie anstatt meine Nichte meine Tochter. Witwer und ohne Kinder, stehe ich allein auf der Welt. Mein schon seit seiner Jugend von mir stets entfernt gewesener Neffe ist für mich ein Fremdling. Ichliebe ihn mit der Liebe, die ich für meine Schwester hegte, aber nicht mit der, die ich für ihn selbst empfände. Er selbst hegt für mich, ohne daß er sich selbst Rechenschaft davon gibt, nur eine Neigung, deren Stärke sich nach dem Guten richtet, was ich ihm erzeigen kann. Wenn Sie dareinwilligen, meine Adoptivtochter zu werden, so verschwinden jene Unmöglichkeiten, welche sich einem ruhigen und glücklichen Leben für Sie in England entgegenstellen, selbst, gerade so wie die Wasserfurche eines Schiffs verschwindet, welches aus einem Meere in das andere steuert. Ich nehme Sie mit nach Neapel, wo niemand Sie kennt, wo niemand Sie gesehen hat, wo Sie weder Emma Lyonna noch Miß Heart heißen, wo Sie weder Paynes noch Feathersons Maitresse, weder Grahams Bundesgenossin noch Romneys Modell sind, sondern wo Sie unter dem Namen, den es Ihnen belieben wird zu wählen, meine geliebte Adoptivtochter sind. Von meinem Reichtum spreche ich nicht. Ich habe sieben- bis achttausend Pfund Sterling Rente, ohne meinen Posten als Gesandter, welcher mir fünftausend Pfund jährlich einträgt. Dieses Gesamteinkommen teile ich in drei Teile – ein Teil gehört Ihnen, der zweite meinem Neffen, der dritte Ihren Kindern. Nein, ich spreche nicht von den Diensten, welche Sie mir leisten können. Ich zähle achtundfünfzig Jahre. Ich bedarf, in Ermanglung der Liebe, der Freundschaft und empfinde das Bedürfnis, daß man mich liebe, wie man einen alten Mann liebt. Wie lange habe ich wohl noch zu leben? Sechs, acht, vielleicht noch zehn Jahre. Berechnen Sie, wie rasch in Ihrem Alter zehn Jahre vergehen. Im schlimmsten Falle also, das heißt in zehn Jahren, wo Sie fünfunddreißig zählen und folglich in dem Alter stehen, wo das Weib oft noch seine volle Schönheit besitzt, sind Sie frei, reich und – erlauben Sie mir diese Worte, mit welchen ich durchaus keine verletzende Absicht verbinde – durch Ihre Hingebung an mich geläutert. Gestatten Sie mir, Ihnen noch zu sagen, daß ich in Neapel, einer der schönsten Städte der Welt, wohne und daß ich allen Grund habe zu hoffen, sie bis zu meinem Tode zu bewohnen. Ich bin der Freund des Königs und der Königin, ich bewege mich dort in einer Gesellschaft, über welche Sie sofort die Macht ausüben werden, welche Ihre Schönheit, Ihre Talente, mit einem Wort Ihre Überlegenheit Ihnen leihen. Diese Gesellschaft ist aus allen Talenten, aus allen Intelligenzen, aus allen Aristokratien, von der Geburt bis zu der des Genius, zusammengesetzt und während Sie hier die Sklavin der Vergangenheit sind, sind Sie dort die Königinder Zukunft. Nun, nachdem Sie gelesen haben, denken Sie nach. Ich erwarte Ihre Antwort mit größerer Ungeduld, als ein liebender Jüngling. Ich erwarte sie als egoistischer alter Mann. Übrigens wird dieselbe, möge sie ausfallen, wie sie wolle, nichts an den Gesinnungen ändern, die ich Ihnen gewidmet und unter welchen die Achtung den ersten Platz einnimmt.
William Hamilton.«
Dieser so einfache, so edle und so würdige Brief rührte mich tief, dies gestehe ich offen. Ich ließ meinen Arm am Körper, meinen Kopf auf die Brust herabsinken, und verfiel in langes Hinbrüten. Als ich den Kopf wieder emporrichtete, stand Sir Charles vor mir. An seinem wehmütigen Lächeln war leicht zu sehen, daß er erriet, was in meiner Seele vorging. Ich reichte ihm den Brief. »Lesen Sie,« sagte ich zu ihm.
Er warf die Augen darauf.
»Nein,« rief ich lebhaft, »nicht in meiner Gegenwart. Lesen Sie ihn allein, ebenso
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