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Titos Brille – Die Geschichte meiner strapaziösen Familie

Titos Brille – Die Geschichte meiner strapaziösen Familie

Titel: Titos Brille – Die Geschichte meiner strapaziösen Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adriana Altaras
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kümmerte er sich besonders intensiv um Jelka. Als die Italiener kapitulierten, waren sofort etliche jugoslawische Partisanen zur Stelle. Sie entwaffneten die noch übrig gebliebenen italienischen Soldaten und setzten sie in ein Fischerboot Richtung Italien. Mein Onkel nahm seinen ganzen Mut zusammen und bat meine Tante, mit zu ihm nach Norditalien zu kommen. Jelka und zwei weitere jüdische Freundinnen, Lea und Heli, wurden auf dem Fischerboot versteckt.
    Erst haben die Partisanen nach uns gesucht. Mit Bajonetten haben sie in der Kajüte rumgestochert, wo wir ganz still, versteckt unter Decken lagen. Dann wurden wir aus der Luft von den Deutschen beschossen, sie jagten jetzt ihre neuen Feinde: die Italiener. Es war fürchterlich.
    Sie schafften es bis nach Cervia, in der Nähe von Ravenna, an die nördliche italienische Küste. Dort waren die Faschisten noch immer an der Macht. Die Bevölkerung half schnell und gab ihnen heimlich Zivilkleidung. Die Carabinieri bestelltendie drei jüdischen Frauen zu sich ins Kommissariat und stellten ihnen gefälschte Papiere aus. Das sei ihre Form von Widerstand, behaupteten sie stolz. »Elena Motta«, so hieß meine Tante von nun an in Italien, würde die nächsten zwei Jahre bei der Familie Motta verbringen, halb versteckt auf dem Dachboden, halb als »entfernte Cousine aus Bergamo«.
    Die Familie unterstützte die Wahnsinnstat meines Onkels, und gemeinsam brachten sie meine Tante durch den Krieg. Dennoch: Meine Tante fühlte sich fremd und einsam. Sie lebte wie eine Gefangene, und die beengten, katholisch-kleinbürgerlichen Verhältnisse machten ihr sehr zu schaffen. Im Mai 1946 heiratete sie aus Dankbarkeit Giorgio Motta in Mantua, denn schließlich hatte er ihr das Leben gerettet.
    In Zagreb habe ich das Leben einer verwöhnten Tochter aus sehr reichem Hause geführt. Mit achtzehn machte ich den Führerschein und fuhr als erste Frau eines der wenigen Autos Zagrebs. Ich spielte Tennis, fuhr Ski, schwamm, hatte in jungen Jahren bereits halb Europa bereist, kannte alle führenden Hotels und sprach so ziemlich alle nötigen europäischen Sprachen. Ich war schön und ich wusste es. Wahrscheinlich war ich ein Snob.
    Jelka hatte zu Hause immer als gute Partie gegolten und standesgemäß heiraten sollen. Aus diesem Grunde hatte Vater Sigismund Fuhrmann ihr das Studium untersagt und sie an die Kasse des Hauptgeschäftes seiner Firma gesetzt, wo sie sich langweilte, nebenbei aus alten Büchern Sprachen lernte, aber jeder sie bewundern konnte.
    1939 tauchte Fritz Epstein auf. Er kam aus Hamburg mit anderen deutschen Juden, gerade noch entkommen auf der Flucht, egal wohin. Fritz und Jelka verliebten sich. Fritz wollte Jelka mitnehmen, aber ihr Vater Sigismund glaubte den Schreckensberichten aus dem fernen Deutschland nicht. Er verbot Jelka mitzureisen. Fritz, groß, blond und blauäugig, rettete sich nach Australien. Fritz Epstein, der wär’s gewesen.Stattdessen wurde es Giorgio, dein Onkel. Primitiv, Katholik. So lautete der Lebensrefrain meiner Tante. Mein Onkel war ein Held im kleinen Rahmen. Aber er war nicht Fritz, und das konnte ihm meine schöne Tante nie verzeihen.
    Meine Tante war die Prinzessin aus Zagreb, die nun aus Dankbarkeit gegenüber dem Onkel und aus Furcht vor der Welt in Mantua hängen geblieben war. Wirklich freiwillig war sie nicht hier, und das ließ sie meinen Onkel immer spüren. Er, bei aller Gutmütigkeit doch auch Choleriker, schrie, wobei er gelegentlich auch zuschlug. Dann bereute er es gleich wieder, schenkte ihr Haushaltsgeräte und Topfsets, während sie unter dem Madonnenbildnis in ihrem Zimmer weinte. Kinder blieben aus. Stattdessen wurde ich von meinem Onkel aus Kroatien herausgeschmuggelt und aufgenommen. Wie gesagt: Er war ein Held en detail, nicht en gros.
    Wir hatten immer viele Tiere. Die Bauern bezahlten meinen Onkel mit Lebensmitteln oder Tieren. Ihm verdankten wir einen regelrechten Zoo. In der Waschküche legten Hühner ihre Eier, die Katzen vermehrten sich unter dem Fiat, und bis zu fünf Hunde gaben vor, das Haus zu bewachen. Eine Zeit lang wohnte in der Garage Francesco, der Esel. Er war fast verhungert, als mein Onkel ihn zu uns brachte. Bei uns fraß er so lange, bis er eines Tages platzte. Bis dahin hatte ich nicht gewusst, dass so etwas technisch überhaupt möglich war. Die gesamte Nachbarschaft, so an die dreißig Kinder, versammelte sich um ihn herum und starrte fasziniert auf die Gedärme im Gras.
    Später hatten wir Gänse,

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