Titos Brille – Die Geschichte meiner strapaziösen Familie
staff at the University of Zagreb. Upon his arrival in the United States, he can remain in my home, 1315 Sheridan Ave. Bronx, N. Y., for the extend of his stay.
Sie haben also zu diesem Zeitpunkt bereits ans Emigrieren gedacht. Es gab also schon 1962 konkrete Gründe zu emigrieren, obwohl der Schauprozess gegen meinen Vater erst im Sommer 1964 begann.
Warum, um Himmels willen, sind sie nicht nach Amerika ausgewandert? Raus, weg aus diesem schmutzigen Europa zu Reverend Albert Altaras: Rabbiner, Cantor, Shohet, Marriage Performer, Experienced Teacher of Modern Hebrew. Performs all Religious Functions. Ich wäre jetzt »New Yorkerin« …
Irgendwann halte ich einen besonders dicken Ordner in der Hand.
Es ist spät, ich bin müde, zögere ihn aufzumachen, andererseits, wenn ich schon mal dabei bin …
In etlichen Anträgen bittet meine Mutter als deutsche Jüdin um den Erhalt der deutschen Staatsbürgerschaft. Sie müsse zunächst Asyl beantragen, erhält sie als Antwort, und diesen Antrag ausführlich begründen. Sie schildert ihre Flucht aus Kroatien und die Verfolgungen der Juden innerhalb der Partei.
Der Antrag wird vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge abgelehnt:
Nach Paragraph 10 des BVFG kann ein Vertriebener Rechte und Vergünstigungen nur dann in Anspruch nehmen, wenn er spätestens 6 Monate nach dem Zeitpunkt, zu dem er die zur Zeit unter fremder Verwaltung stehenden Ortsgebiete verlassen hat, seinen Antraggestellt hat. Wir bedauern, daß wir Ihnen unter diesen Umständen den Vertriebenenausweis nicht ausstellen können.
Sie antwortet, sie sei zunächst in Italien gewesen, weil sie keine Arbeitserlaubnis für die Bundesrepublik Deutschland hatte und ohne diese und so weiter und so fort … Der Antrag wird zurückgewiesen, weil sie ihn mit Bleistift geschrieben hat.
Nein, sie habe Italien nicht aus eigenem Verschulden verlassen müssen, sondern endlich in Konstanz eine Stelle als Architektin gefunden. Sie schreibt nun auf einer Schreibmaschine. Drei Jahre später erhält sie den Vertriebenenausweis, gültig für ein Jahr. Sie bittet nochmals um den Erhalt der deutschen Staatsbürgerschaft, sie sei doch deutscher Abstammung, deutsche Jüdin. Sie beschreibt ihre Kindheit, in der immer Deutsch gesprochen wurde, die deutsche Schule in Zagreb, die zwar evangelisch ist, aber auf die die jüdischen Kinder gehen, um Deutsch zu sprechen.
Wir hatten eine schöne Kindheit und Jugend. Mein Vater war reich, er war Besitzer des größten Porzellan- und Glashandels in Kroatien. Bis zum 2. Weltkrieg lebten wir im Wohlstand. Von 1930—1938 besuchte ich die deutsche Volks- und Mittelschule, die der evangelischen Kulturgemeinde angehörte. Alle Fächer wurden auf Deutsch unterrichtet, ausgenommen Kroatisch und Französisch. Von 1938—1940 genoß ich eine zweijährige Ausbildung an der deutschen Handelsschule »Klara Herzog«. Im Zweiten Weltkrieg 1941—1945 mußte ich meine Ausbildung leider unterbrechen. Seit 1941 wurden wir als Juden verfolgt.
Ihr Antrag wird abgelehnt. Die Begründung: Wie könne sie Asyl beantragen, wenn sie behaupte, eine Volksdeutsche zu sein? Mir verschlägt es die Sprache. Spätestens jetzt hätte ich einen Anschlag auf die nächstbeste deutsche Behörde verübt, auch wenn es nur die Poststelle gewesen wäre oder ein nahe gelegener Briefkasten! Meine Mutter aber bleibt diszipliniert, demütig, zielbewusst und gibt nicht auf. Sie stellt weiterhin den Antrag auf die bundesdeutsche Staatsbürgerschaft. Für sich, ihre Tochter und ihren Mann.
Mein Vater beherrschte die deutsche Sprache perfekt in Wort und Schrift. Er bediente sich derer hauptsächlich, denn es war seine Muttersprache. Nach mündlicher Überlieferung stammt die Familie Fuhrmann aus Deutschland, meine Ahnen lebten in Frankfurt an der Oder, was mein Vater und seine Brüder öfter voller Stolz betonten.
Zu Hause wurde nur Deutsch gesprochen. Wir wurden im deutschen Geist erzogen, denn mein Vater bemühte sich um die Aufrechterhaltung der deutschen Tradition.
Die Überprüfung werde einige Zeit in Anspruch nehmen, antwortet man ihr, sie solle derweil ihre Kriegszeit schildern, und warum sie nun wirklich nach Deutschland wolle.
Sie beschreibt minutiös die italienischen und die deutschen Lager und warum sie einen gelben Davidstern tragen musste. Sie endet mit folgendem Absatz:
Bereits nach der Diplomprüfung befaßte ich mich mit dem Gedanken, Jugoslawien zu verlassen und nach Deutschland zu gehen.
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