Titos Brille – Die Geschichte meiner strapaziösen Familie
Freunde hatte ich keine mehr. Die meisten Familien, die den Krieg überstanden hatten, blieben im Ausland. Ich fühlte mich einsam und stets mehr oder weniger als Fremde behandelt. Man warf uns auch vor, Deutsche zu sein. So wuchs und reifte mein Wunsch, nach Deutschland zu gehen und zu versuchen, mich in der Heimat meiner Ahnen niederzulassen. Der jetzige Aufenthalt und die Berufstätigkeit verstärken meine Überzeugung, den richtigen Weg zur Regelung meines Lebens gewählt zu haben.
Der Staat seinerseits bzw. dessen eifrige Vertreter bleiben völlig unsentimental: Man bittet sie, einen Zeugen zu benennen. Sie wiederum bittet Herrn Adolf Rotownik, den Prokuristen in der Firma ihres Vaters, für sie Zeugnis abzulegen. Der arme Mann macht es gern, auch wenn er inzwischen gebrechlich im dänischen Exil lebt:
Als junger Beamter zuvor, Prokurist und Direktor nachher, war ich über fast zwanzig Jahre (1922—1941) in der Firma des Herrn Sigismund Fuhrmann in Zagreb tätig und kannte, auch als Vertrauensperson und Freund desselben, alle Einzelheiten der Lebensweise und der Gewohnheiten der Familie Fuhrmann.
Deshalb kann ich bestätigen, daß Herr Sigismund Fuhrmann, Großkaufmann für Glas und Porzellan, nicht nur Fachmann in seiner Branche, sondern auch ein gebildeter und feiner Mensch war. Die Firma konnte ihr Ansehen dem Herrn Fuhrmann verdanken, er war mit seiner Familie von allen geschätzt und geachtet.
Der Herr Fuhrmann hatte eine deutsche Ausbildung, beherrschte die deutsche Sprache in Wort und Schrift, führte Geschäftsgespräche und diktierte Briefe hauptsächlich in deutscher Sprache. Es war seine Muttersprache, nachdem er und seine Brüder aus Deutschland stammten und ihre Ahnen in Deutschland lebten. Die vollkommene Sprachkenntnis des Herrn Fuhrmann bestätigte diese Herkunft.
Die Familie lebte im Wohlstand bis zum Zweiten Weltkrieg. Sie besaß eine Villa im Villenviertel, eine Wohnung in der Stadt, zwei Kraftfahrzeuge und konnte sich Chauffeur, Kinderfräulein und Hauserzieherin leisten.
Der Herr Fuhrmann hatte zwei Töchter: Jelka, (geb. 1920) und Thea (geb. 1924). Das Aufrechterhalten der deutschen Kultur und Sitten, wie auch die Schulausbildung in deutschen Schulen für seine Kinder, war Herrn Fuhrmanns Wunsch. So wurden nur Deutsch sprechende Kinderfräulein im Hause aufgenommen: meine Frau Milly war die erste und durfte mit den Kindern nur Deutsch sprechen. Nachher hatten sie eine Erzieherin aus der deutschen Schweiz und zuletzt kam Fräulein Auguste von Schmidt, an die ich mich sehr gut erinnere. Sie war die Tochter eines österreichischen Oberst in Ruhe, konnte nur Deutsch und pflegte fast bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, etwa 7 Jahre lang, die Ausbildung und Erziehung der beiden Töchter Fuhrmann.
Die Familie Fuhrmann unternahm oft Reisen, mindestens zweimal jährlich nach Wien undnach Graz. Nach Wien wurde niemals eine Reise in die Wintersaison unterlassen, um den beiden Mädchen die Möglichkeit zu bieten, in die Theater und in die Oper zu gehen, wo sie dem Wunsch ihres Vaters nach den Vorstellungen der berühmtesten Werke deutscher Klassiker und Opern beiwohnten.
Fräulein Thea Fuhrmann musste als Jüdin den Judenstern tragen vom Mai 1941 bis Februar 1942, was ich selbst gesehen habe. In diesen 9 Monaten lebte sie unter den schlimmsten Bedingungen unter dauernder Spannung und Angst vor der Entführung in das Konzentrationslager. Sie war als Jüdin verfolgt und versteckte sich bei Freunden und Bekannten, von wo sie auch im Februar 1942 die Flucht aus Zagreb unternommen hatte.
Mit dem Tode des Herrn Fuhrmann (kurz nach Kriegsausbruch) wie auch durch den Krieg selbst wurden das Familienleben und der Wohlstand der Familie zerstört und die Schulausbildung der Töchter unterbrochen.
Ich erkläre mich bereit, die Richtigkeit obiger Angaben jederzeit vor Gericht und allen sonstigen Behörden durch Eid zu bekräftigen.
Kopenhagen, den 12. Juni 1969
Adolf Rotownik
Die Anträge stammen aus den Jahren 1966 bis 1970. Vier Jahre lang schreibt meine Mutter Anträge und füllt Formulare aus, um von den zuständigen Verwaltungsbehörden die deutsche Staatsbürgerschaft zu erlangen. Ich frage mich, welche Art von Geisteskranken in den deutschen Ämtern saßen oder wasfür Leuten man über vier Jahre lang erklären musste, wie es in KZ s zugegangen war. Dass man einen Judenstern auch in Kroatien tragen musste. Dass deutsche Juden Deutsch sprachen. All das scheint dem zuständigen
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