TKKG 82 - Der Diamant im Bauch der Kobra
zu machen. Gemerkt hat das freilich niemand. Dieser Webster war geschickt. Sein wahres Gesicht blieb verborgen. Eliza ging mit ihm weg. Bei Nacht und Nebel. Die Spur verlor sich, obwohl die Briglands Himmel und Hölle in Bewegung setzten, um Eliza zu finden. Monate später wurde sie in der Nähe von New Orleans aufgefunden. Sie war sterbenskrank. Webster hatte sie verlassen, war ihrer überdrüssig. Eliza schaffte es nicht mehr, ihre Heimat noch einmal zu sehen. Sie starb in New Orleans. Drogen hatten ihre Gesundheit zerstört. Aber kurz vor ihrem Tode konnte sie noch sagen, wie alles gekommen war. Dieser Webster wurde in späteren Jahren überall gesucht. Er machte von sich reden als Bankräuber. Aber gefasst haben sie ihn nie, glaube ich.“
„Davon haben wir gehört“, sagte Tim. „Und zwar aus erster Quelle. Nämlich von ihrem Bruder Mike, der jetzt Literaturprofessor in Boston ist. Zur Zeit bereist er Europa. Er war auch in unserer Stadt - und dabei haben wir ihn kennengelernt. Er ist auf der Suche nach dem Familienschatz. Aber das erzählen wir dir später - nämlich in Ruhe.“
Joan staunte. Aber für Fragen blieb keine Zeit mehr, denn sie erreichten die Brigland-Villa, ein tatsächlich gespenstisches Haus mit gerümpel-vollem Garten und flackerndem Licht hinter verhängten Parterre-Fenstern.
„Hoffentlich kiffen sie nicht“, murmelte Joan.
Gaby machte große Augen. „Herumtreiber sind’s. Einbrechen wollten sie. Bill hätte dich beinahe kaltgemacht. Eklig sind sie auch. Und Haschisch gehört wohl zum Abendprogramm? Was für Läuse, um Himmels willen!, hast du dir in den Pelz gesetzt, Joan?“
Die Brieffreundin lächelte gequält. „Ich glaube an das Gute im Menschen. Auch wenn man manchmal sehr lange danach suchen muss. Jeder kann zurückgeführt werden - auf den rechten Weg.“
„Hoffentlich!“, meinte Tim.
Sie waren ausgestiegen und gingen zum Eingang, einer morschen Tür, die schief in den Angeln hing und nicht mehr schloss. Im Wind hätte sie geknarrt wie das Portal eines Schweinestalles. Aber zur Zeit herrschte Flaute in der Gegend von Springfield. Lediglich Gaby blies die Backen auf, als sie hinter Joan in die Schutt-Behausung trat. Hier also hatten die deutschstämmigen Briglands vormals gelebt! Es roch nach Abfällen. In der Eingangshalle häufte sich Gerümpel. Eine Freitreppe führte ins obere Stockwerk hinauf. Schon vor langer Zeit hatten Heimwerker oder Vagabunden die Türen geklaut -die einen, um Neues daraus zu tischlern, die andern, um Lagerfeuer anzuheizen. Jedenfalls konnte man in den erleuchteten Raum sehen. Eine Petroleumlampe blakte. Der Lichtschein zitterte über die Wände. Möbelreste standen herum, darunter zwei Feldbetten.
„Ich bin’s“, rief Joan. „Hallooooohhh ...“
Sheila fläzte sich auf einem Feldbett. Sie kiffte nicht. Heute war ihr Bier-Tag. Fünf leere Flaschen lagen auf dem Boden.
„Sheila, das sind meine Freunde aus Deutschland“, erklärte Joan in ihrer Muttersprache. „Gaby und Tim.“
Sheila richtete sich auf und ließ die Beine vom Bett hängen. Sie war älter, als Tim und Gaby erwartet hatten: etwa 23.
Sheila rülpste, was am Bier lag, starrte Gaby an, dann Tim. Ihm schenkte sie ein Lächeln, aber das löste keinen Jubel aus.
Himmel!, dachte er. Ist das eine Schlampe!
Sieht die immer so aus?, überlegte Gaby.
Sheilas Rock reichte bis zu den Knöcheln. Wann sie die nackten Füße das letzte Mal gewaschen hatte, wussten die Zehen bestimmt nicht mehr. Sie trug einen Militärpullover, der genug Löcher hatte, um Entlüftung zu gewährleisten. Ihr Haar war hüftlang und fettig. Damit ihr niemand vorwerfen konnte, sie vernachlässige ihr Äußeres, hatte sie sich geschminkt. Aber wie! Als hätte eine Dreijährige in Mamas Schminktöpfe gegriffen.
„Tim und Gaby“, sagte sie undeutlich. „Aus Germany? Hah! Alle Deutschen sind Kriegsverbrecher.“
Ist das ernst gemeint?, überlegte Tim. Offenbar. Aber sollte man antworten auf so eine Blödheit?
Wegen Joan entschied sich Gaby zu einer Erwiderung.
„Bei uns“, sagte sie auf Englisch, „gibt es soviel Übeltäter wie überall. Nicht mehr und nicht weniger. Eine Nation von Kriegsverbrechern sind wir bestimmt nicht. Jeder vernünftige Mensch, ausgenommen die Rüstungsfabrikanten, will Frieden, ständigen Frieden, totalen Frieden. Also lass dir keinen Floh ins Ohr setzen, Sheila, wenn irgendwelche Spinner Lügen verbreiten.“
„Hah!“ Sheila griff nach einer Flasche, in der noch ein
Weitere Kostenlose Bücher