Tochter der Insel - Historischer Roman
mich noch nicht recht wohl und hätte Sie niemals empfangen, wenn es sich nicht um finanzielle Dinge handeln würde, die ja scheinbar keinen Aufschub dulden.«
Gärber ignorierte Leas Geste und setzte sich dicht neben sie. »Das verstehe ich gut. Aber es gibt etwas, das Sie wissen sollten, und zwar schnellstmöglich. Deshalb bin ich gekommen. Ich muss Ihnen leider einen zweiten schweren Schlag zumuten, meine Liebe.« Er beugte sich zu ihr, so dass Lea sein weingeschwängerter Atem unangenehm in die Nase stieg. Seine Hand tätschelte ihren Oberarm. Sie spürte die Hitze seiner Finger, als ob sie sich verbrannt hätte. Rasch zog sie ihren Arm zurück. Gärber registrierte es mit hochgezogener Braue.
»Also, worum geht es? Hat es mit Großmutters Vermögen zu tun?«
»So ist es. Um es kurz zu machen: Es existiert kein Vermögen mehr. Ihre Großmutter hat sich verkalkuliert.« Scheinbar bedauernd neigte er sich zu ihr hinüber. »Leider muss ich sagen, dass Ihnen als Erbin so gut wie gar nichts bleibt.«
Lea starrte ihn an. Sie konnte nicht glauben, was ihre Ohren gehört hatten, und schüttelte unbewusst den Kopf. »Das ist nicht möglich! Man kann Großmutter vieles nachsagen, aber in Geldangelegenheiten war sie unfehlbar. Wie oft sind die Insulaner, selbst die Hofrätin und der Vogt, zu ihr gekommen, um sich mit ihr in finanziellen Dingen zu beraten. Was Sie sagen, kann einfach nicht wahr sein!«
»Leider ist es das aber doch. Vor längerer Zeit stieg sie in ein besonderes Geschäft ein. Es ging um Schiffsladungen von Stoffen, Gewürzen und Tabakwaren. Ihre Großmutter investierte ihr ganzes Vermögen. Sie glaubte an die Sache. Ich riet ihr ab, aber sie beharrte darauf, sich auch noch Geld von der Bank zu leihen. Ihre Großmutter glaubte, dass der Betrag bis zur Fälligkeit längst wieder eingebracht wäre. Doch da hat sie sich getäuscht, und all ihr Hab und Gut ist jetzt verloren.«
»Alles ist weg? Sie meinen, dieses Haus hier, die Gästeunterkünfte, das gesamte Vermögen?«
»So ist es. Ihnen gehören nur noch die Kleider, die Sie am Leib tragen.«
Lea erstarrte. Sie sah ihn fassungslos an, dann die Stickereien an den Wänden, das dunkel schimmernde Holz der Möbel und das Teegeschirr auf dem Tisch. Es war so still, dass das Knacken des Holzes im Kamin wie Donnerschläge dröhnte.
Lea öffnete den Mund, doch erst beim zweiten Anlauf gelang es ihr, die Worte herauszubringen. »Dann muss ich all das hier aufgeben?«
Er nickte nur, zog die entsprechenden Papiere aus seiner Tasche und breitete sie vor Lea aus. Sie fing sich wieder und studierte eingehend die Urkunden. Es waren Vollmachten darunter, aber auch Papiere, die Großmutters Unterschrift trugen.
»Wem gehört das Haus jetzt?«
»In gewisser Weise mir. Ich besitze ausreichend Vermögen und habe mich entschlossen, die Schulden Ihrer Großmutter bei der Bank zu tilgen. Die Papiere für den Kauf dieses Besitzes sind schon unterzeichnet.«
Lea sprang auf und trat ans Fenster. »Sie haben meine Großmutter hereingelegt. Es kann gar nicht anders sein.« Sie wandte sich an den Finanzberater. »Sie wollten Großmutters Besitz und haben ihn ihr abgeluchst! Ich kann mir sogar vorstellen, dass Sie ihren Tod willentlich herbeigeführt haben, um davon zu profitieren.«
Gärber betrachtete sie wie ein bemitleidenswertes Kind. »Meine Liebe … «
»Wozu brauchen Sie überhaupt ein Haus auf unserer Insel?«
Er erhob sich und kam auf Lea zu. »Vielleicht, um mich auszuruhen. Und dies natürlich am liebsten in der richtigen Gesellschaft. Obwohl ich glaubte, die Familienverhältnisse Ihrer Großmutter genau zu kennen, habe ich nichts von Ihnen gewusst. Sie sind ein reizendes Geschöpf.« Ferdinand Gärber umfasste unvermittelt Leas Schultern mit beiden Händen und bannte sie mit seinen Augen. »Ich werde mir auf Wangerooge einen Ruhesitz schaffen und wünsche mir angenehme Gesellschaft. Was hältst du davon, wenn du im Haus bleiben darfst und hier immer auf mich wartest? Unsere gemeinsame Zeit wird ein Schwelgen in Lust sein.« Er schien wie im Fieber. Seine Rechte strich aufreizend über die Rundung ihrer Schulter. Mit einem Ruck zog er sie zu sich heran, doch Lea stieß ihn fort.
»Was fällt Ihnen ein?«
»Ach, zier dich doch nicht so.« Gärbers Atem ging jetzt stoßweise. Seine Stimme klang scharf. »Das ist das beste Angebot, das du bekommen wirst. Dir bleibt kaum eine andere Wahl. Du hast kein Geld.«
Seine Kälte ließ Lea das Blut in den Adern
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