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Tochter der Insel - Historischer Roman

Tochter der Insel - Historischer Roman

Titel: Tochter der Insel - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Oltmanns
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Lea drückte ihre Stirn gegen die Scheibe. Eine Woge von Schmerz überrollte sie. Liebe ließ sich nicht bestimmen! Sie würde ihren Weg ohne Immo gehen müssen.
    Schmerz, Verlust und Zorn hatten Veränderungen herbeigeführt, die sie zwar nicht sehen oder fassen, aber sehr wohl spüren konnte. Ihr altes Leben war vorbei. Ihr blieb keine Zeit für Grübeleien, Klagen oder Erinnerungen. Sie würde Rebekkas Geschenk annehmen und das Beste aus ihrer Situation machen.
    Lea verspürte wieder die bebende Erwartung des gestrigen Morgens in ihrem Inneren. Amerika! Das Land rief sie.
    »Ich komme«, antwortete sie leise.

2.
    Die Reise
    Frühjahr/Sommer 1854

1
    I m Sonnenlicht sah das Gasthaus ganz passabel aus, fand Lea. Sie hatte sich, auf Empfehlung des Kutschers, in der Weserlust einquartiert. In früheren Jahren hatte sich das Hotel vor Gästen kaum retten können. Alle, die von Bremerhaven aus in die Neue Welt reisen wollten, mussten sich in Bremen eine Bleibe suchen. Seit vor einigen Jahren das Auswandererhaus in Bremerhaven fertiggestellt war, konnten die Ausreisenden jetzt auch direkt beim Hafen unterkommen.
    Lea hatte sich ganz bewusst von diesem Quartier ferngehalten. Falls Gärber nach ihrem Verbleib forschen sollte, würde sein erster Weg ihn vielleicht geradewegs dorthin führen. Morgen wollte sie mit einem der Schlepper die Reise nach Bremerhaven antreten und von dort aus direkt in See stechen. Ihr Schiff hieß Mary-Ann. Das hatte Lea gestern beim Auswandererbüro erfahren und auch, dass die Reise nach New Orleans sechs bis acht Wochen dauern würde. Der Segler gehörte einem amerikanischen Reeder, der Tabak, Baumwolle und Zucker einführte und im Gegenzug Auswanderer nach Amerika mitnahm. 270 Zwischendeckpassagiere und dazu noch etliche Kajütreisende fanden auf dem Schiff Platz.
    Lea, die niemals zuvor ihre Heimatinsel verlassen hatte, spazierte mit großen Augen durch die Stadt. Sie war von all den neuen Eindrücken fasziniert. Bremen war so groß! An den imposanten Gebäuden, Fabriken, Kutschen und Menschen, die die Straßen bevölkerten, konnte sie sich kaum sattsehen. Wie Ameisen rannten Männer und Frauen geschäftig hin und her. Hier suchte Lea die Ruhe, die auf Wangerooge vorherrschte, und die Ausgeglichenheit der Insulaner vergeblich. Aber all die neuen Eindrücke halfen ihr auch, sich von den Geschehnissen der letzten Tage abzulenken.
    Du ziehst jetzt in ein anderes Land. Du beginnst ein neues Leben – und Rebekka wartet auf dich, sagte sie sich immer wieder.
    Mit diesem beruhigenden Gefühl ließ sich Lea von einer Droschke zu dem ihr empfohlenen Warenhaus bringen, um all die Dinge einzukaufen, die für die Überfahrt noch fehlten. Die Kutsche hielt vor einem großen alten Gebäude, dessen rechte Hälfte mit dem Schild Hardenberg – Alles, was der Mensch braucht überschrieben war, während die andere Hälfte den glanzvollen Namen Morgenstern trug.
    In dem großen Verkaufsraum des Kaufhauses stapelten sich die Waren in Regalen bis unter die Decke. Das Angebot reichte von Trockenobst und Würsten über Essgeschirr bis hin zu Unterbetten. Eine große Tür führte zu einem separaten Raum. Dort saßen im Sonnenlicht, das durch die großen Fenster fiel, einige Herren, lasen die Morgenzeitung und tranken Kaffee. Neben ihnen gestapelte Kisten und Körbe kündeten von den Einkäufen, die sie getätigt hatten. Eine hübsche junge Bedienung eilte geschäftig hin und her und nahm eifrig Bestellungen auf.
    Während Lea noch die Eindrücke auf sich wirken ließ, trat ein Verkäufer auf sie zu. Er war hochgewachsen, hielt sich sehr gerade und trug eine runde Nickelbrille.
    »Ich sehe, Sie wollen ausreisen«, begrüßte er sie.
    Lea fragte sich, woher er das wissen konnte. Vielleicht sprach er jeden Kunden so an. Der Mann schien keine Reaktion von ihr zu erwarten.
    »Es ist die richtige Entscheidung, sich bei Hardenberg mit dem Nötigsten zu versorgen. Sie werden hier alles finden, was für eine Reise nach Übersee unentbehrlich ist. Beginnen wir mit den Nahrungsmitteln.« Er griff nach Leas Arm und führte sie stolz durch das Lager. »Ich kann Ihnen nur empfehlen, sich mit reichlich Proviant einzudecken. Sie werden Wochen unterwegs sein, und die Verpflegung an Bord ist meistens ungenießbar.«
    »Ich werde als Kajütpassagier reisen.« Lea sah an der Rundung seines Mundes zu einem O, dass der Mann sie falsch eingeschätzt hatte. Sofort wurden seine Gebärden um einiges höflicher, die Verbeugungen

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