Tochter der Insel - Historischer Roman
Schranktüren und spähte hinein.
Lea rannte wütend hinter dem Mann her, holte aus und gab ihm eine schallende Ohrfeige. »Raus mit Ihnen, sofort! Verlassen Sie auf der Stelle meine Kammer!«
Fluchend holte der Dicke aus und wollte zurückschlagen, doch der Hotelier war schon zur Stelle und schob den Mann aus dem Zimmer.
»Lassen Sie mich sofort los! Ich lass mich doch von so einer Schnepfe nicht aufhalten.«
»Die Frau, die Sie suchen, ist nicht hier. Sie haben doch überall nachgesehen«, redete der Hotelier auf ihn ein.
Lea wartete das weitere Gespräch nicht mehr ab. Mit einem Knall schlug sie den Männern die Tür vor der Nase zu und drehte demonstrativ den Schlüssel herum. Aufatmend lehnte sie sich gegen das Holz. Nach einer Weile entfernten sich die Stimmen, das Knarren von Treppenstufen drang an ihr Ohr.
Sie hörte ein Kichern in der Schlafkammer. Bell erschien im Türrahmen. Tränen liefen ihr über die Wangen. »Mein Gott, Kindchen. So habe ich mich lange nicht mehr amüsiert. Denen hast du es gezeigt! Ich bin so stolz auf dich. Du hättest Schauspielerin werden sollen.« Spontan trat sie auf Lea zu und schloss sie in die Arme.
»Wie gut, dass mir die Reisekiste eingefallen ist. Ich wollte dich erst in den Schrank lotsen. Das hätte ein Unglück gegeben!«
Unvermittelt wurde Bell ernst. »Eines muss ich dir sagen: Du darfst diesen Männern nicht glauben, dass ich eine Mörderin bin.«
»Das habe ich keine Sekunde lang getan.«
»Es war alles ganz anders, als dieser Schuft erzählt hat. Bruno Neumann hat sich vor einem Jahr an Christine, eine junge Tänzerin, herangemacht. Sie gehörte der Künstlertruppe an, mit der ich durchs Land zog. Wir haben Christine gewarnt, doch sie vergötterte den Mann und war überzeugt davon, dass auch Bruno sie liebte. Doch für den jungen Neumann war sie nur ein Abenteuer. Du kannst dir vorstellen, wie es weiterging. Christine wollte nicht mehr mit uns tingeln, sondern blieb in der Nähe ihres Geliebten. Die ersten Monate hat sich Bruno wohl auch noch um sie gekümmert, doch dann fand sein Vater eine gute Partie für ihn – und es wurde geheiratet. Christine war nur noch gut genug für gelegentliche Schäferstündchen. Als sie schwanger wurde, zwang Neumann das Mädchen dazu, eine Engelmacherin aufzusuchen.«
»Die Arme«, entfuhr es Lea.
»Diesen Schritt hat Christine wohl nie verwunden. Sie wurde irgendwie wunderlich. Sprach mit dem Kind, das sie nicht hatte haben dürfen. Wiegte es im Arm und sang leise Schlummerlieder. Einige nannten Christine verrückt. Bruno besorgte dem Mädchen Arbeit in der Weberei und wandte sich dann von ihr ab. Christine hatte niemanden in der großen Stadt und als unsere Truppe im folgenden Jahr dort Station machte, da haben wir sie fast nicht wiedererkannt.« Lea hörte die Trauer in Bells Stimme.
»Wir liebten sie alle sehr und es tat uns so leid um dieses junge Leben und das Kind, das sterben musste. Ich habe versucht, Christine zu überreden, wieder als Tänzerin bei uns anzufangen, doch die Dunkelheit hielt sie schon zu fest umfangen. Als ich mich ein letztes Mal auf den Weg zur Fabrik machte, um mit ihr zu sprechen, wartete ich vergeblich auf meine Freundin. Ich schlich mich in die Weberei, hörte einen Wortwechsel und dann einen Schuss. Ich betrat den Raum, sah den toten Neumann und rechnete eins und eins zusammen. Schleunigst schob ich Christine hinaus und schärfte ihr ein, sich unauffällig zu verhalten. Mir war klar, dass sie in ihrer Verfassung eine Gerichtsverhandlung und das Gefängnis nicht überstehen würde.
Man fand mich, führte mich ab und steckte mich ins Gefängnis. Meine Leute handelten schnell. Sie befreiten mich, und ich floh aus der Stadt. Die Künstlertruppe zog am gleichen Tag in die andere Richtung weiter. Christine nahmen sie mit sich. Vielleicht fängt das Mädchen sich wieder, dann war mein Tun nicht umsonst.«
Lea starrte sie bewundernd an. Diese Frau hatte, ohne lange zu überlegen, die Schuld eines anderen Menschen auf sich genommen.
»Weißt du, Christine war mir sehr teuer«, sagte Bell, als habe sie Leas Gedanken gelesen. »Dieses Mädchen hätte in ihren guten Tagen alles für mich getan. Sie war immer wie eine Schwester zu mir.«
»Bell, du hast so viel Mut und Herz bewiesen. Das darf nicht bestraft werden. Wir müssen einen Weg finden, dich aus diesem Gasthaus zu bringen. Und dann werde ich versuchen, dir eine Passage nach Amerika zu besorgen. Ich bin auf dem Weg dorthin. Hast du Geld
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