Tochter der Insel - Historischer Roman
elegant gekleidete Mann glitt an die Seite des Hauswirts. Er schien jetzt die Sache in die Hand nehmen zu wollen. »Mein Name ist Peter Lind«, stellte er sich mit einer knappen Verbeugung förmlich vor. »Ich werde Ihnen das Ganze kurz erläutern. Wir suchen im Auftrag von Bruno Neumann nach einer Verbrecherin. Die Weberei Neumann müsste Ihnen ja bekannt sein, nicht wahr?«
Lea wusste nichts darüber, nickte aber zögernd.
»Nun, die liederliche Person erschoss in einem der Büroräume den Sohn des Fabrikbesitzers, Bruno Neumann junior. Dieses Frauenzimmer ist mit allen Wassern gewaschen. Sie tingelt schon seit einer Reihe von Jahren mit einer Theatertruppe durchs Land und beehrt in jeder großen Stadt die Spielhäuser und die Männer mit ihrer zweifelhaften Gunst. Ihren Namen wechselt diese Dirne so oft wie die Bäume ihre Blätter. Die letzte Fährte dieser Person führte uns in die Goldgrube, wo sie auftrat. Von dort konnte ich ihre Spur bis hierher weiterverfolgen. Ich hätte die Verbrecherin schon heute Mittag in Gewahrsam nehmen können, wusste aber nicht, ob sie eine Waffe bei sich trägt, und wollte die anderen Gäste des Hotels nicht gefährden.« Er schlug sich mit der Faust in die offene Hand. »Mein Gott, ich hätte es riskieren sollen!«
»Ist diese Frau denn wirklich eine Mörderin? Gibt es Zeugen für das Verbrechen?«
»Augen- und Ohrenzeugen! Dieses Weibsbild hatte eine Affäre mit dem jungen Neumann. Wer weiß, was sie sich von der Verbindung alles erhofft hat. Als er dann in eine reiche Familie einheiratete, war natürlich Schluss mit teuren Geschenken und Unterkünften in noblen Hotels. Das wollte diese Person nicht hinnehmen. Immer wieder belästigte die Frau den Frischvermählten und seine Gattin. Und eines Tages dann folgte sie ihm in sein Büro, zog eine Waffe und schoss. Der junge Neumann war sofort tot. Seit diesem Tag sind seine Witwe und Bruno Neumann senior untröstlich. Nachdem die Gendarmerie die Suche nach der Person aufgegeben hat, beauftragten sie uns mit dem Auffinden der Verbrecherin. Und wir werden sie finden, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche! Mein Partner und ich stellen das gesamte Hotel auf den Kopf. Kein Mäuseloch wird ausgespart.« Er lächelte Lea beruhigend zu.
»Erlauben Sie mal! Es gibt keine Mäuse in meinem Gasthaus«, mischte sich der Hotelier ein.
Der Schlanke beachtete ihn nicht. »Verstehen Sie jetzt, dass wir deshalb auch Ihre Räumlichkeiten aufs Genauste überprüfen müssen?« Er beugte sich zu Lea vor und wisperte: »Ich höre, dass Sie alleinstehend sind, meine Liebe. Vielleicht dürfte ich Sie, als kleine Wiedergutmachung sozusagen, heute Abend zum Essen ausführen?«
Sein Angebot war so eindeutig, dass es nicht der Unverschämtheit des Stiernackigen bedurft hätte, um Lea vor Wut schäumen zu lassen. Was bildete sich dieser Schönling nur ein! Hielt er sie für Freiwild, nur weil sie allein reiste? Er war genauso ein Schuft wie Gärber. Kein Wunder, dass Bell vor Angst zitterte. Dieser Mann log, das roch sie auf zehn Meter Entfernung.
»Ihre Einladung erlaube ich mir, überhört zu haben.«
»Nun ist ja wohl genug mit Geschwafel, Peter«, knurrte sein Begleiter. »Alles Gerede bringt ja doch nichts bei Zippeltrienen wie dieser. Das verdammte Weibsbild muss drinnen sein! Der Trunkenbold von oben hat eindeutig eine Frau hier hineingehen sehen.«
»Was glauben Sie eigentlich, was ich bin? Eine Kuh? Vor wenigen Minuten erst habe ich selbst meine Räumlichkeiten betreten.«
»Aber Sie haben keinen Hut auf dem Kopf gehabt. Jedenfalls nicht, als Sie uns auf der Treppe begegnet sind. Und der Saufkopf von oben hat ein Weibsbild mit Hut gesehen.«
»Betrunkene sehen ja so allerhand. Manchmal sogar weiße Mäuse.«
»Nun lassen Sie meinen Gast endlich zufrieden«, verlangte der Hotelier und wandte sich Lea zu. »Bitte entschuldigen Sie dieses unverzeihliche Benehmen. Ich werde Ihnen einen Teil der Kosten für das Zimmer erstatten.«
»Das ist auch das Mindeste. Ich wundere mich sehr über Ihr Hotel und bin mir nicht sicher, ob ich Ihre Gastlichkeit noch einmal in Anspruch nehmen oder weiterempfehlen kann.«
Der Hotelier erblasste, doch der Feiste ließ sich von Leas Schauspiel nicht beirren. Er verschaffte sich mit einem angriffslustigen Knurren entschlossen Einlass, schob die Gardinen zur Seite, als vermute er dort die Gesuchte, und lugte dann unter den Tisch. Schließlich wandte er sich der Schlafkammer zu. Der Dicke öffnete jede der
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