Tochter der Insel - Historischer Roman
nach ihr aus, doch Lea starrte ihn nur mit weit aufgerissenen Augen an. Ihr Herz klopfte wie rasend.
»Bitte! Ich habe einen schrecklichen Fehler gemacht. Du glaubst nicht, wie sehr ich dich vermisst habe. Ich würde all das hier liebend gerne wieder hergeben, wenn ich mein Tun damit ungeschehen machen könnte.« Er trat näher an den Tisch und warf ihr einen klimpernden Beutel zu.
Lea fing ihn ungeschickt auf und schob ihn dann zur Seite, als enthielte er Gift. Sie stand rasch auf und griff nach dem Kessel.
»Ich … « Ihre Kehle war rau und trocken, wie mit Sand gefüllt. »Ich werde uns Tee kochen. Danach können wir reden.«
Wie nach einem Rettungsanker griff Lea nach dem Pumpenschwengel. Schweiß stand auf ihrer Stirn.
Als sich eine Hand auf ihre Schulter legte, schreckte sie zusammen. Arne drehte sie sanft zu sich herum.
»Ich will nicht reden, Lea!«
Er betrachtete sie schweigend, umfasste sie dann und zog sie mit einer jähen Bewegung in seine Arme. Seine Lippen legten sich weich auf ihre und vor ihren Augen begann sich alles zu drehen. Das Blut rauschte in ihren Ohren. Sie blieb zunächst stocksteif stehen, begann dann jedoch, sich zu wehren.
»Lass sie sofort los!«
Arne hatte sie schon freigegeben, bevor Joris den Satz ausgesprochen hatte. Abrupt trat Arne einen Schritt zurück. Ungläubigkeit lag auf seinem Gesicht. Sein Atem ging keuchend. Er trat zum Pumpenschwengel, goss sich Wasser in die hohlen Handflächen und besprengte sein Gesicht. Dann starrte er Lea an wie einen Geist. Die Anspannung stieg.
»Was geht hier eigentlich vor?«
Als keine Antwort kam, trat Arne auf Lea zu und schob mit einer schnellen Bewegung den Ärmel ihres Kleides bis über den Ellenbogen hoch und suchte ihren Arm nach etwas ab. Dann ließ er sie plötzlich los, als ob er sich verbrannt hätte.
»Du bist überhaupt nicht Lea. Wo ist sie?« Sein Blick schweifte suchend umher.
Lea ließ sich auf einen Stuhl fallen und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen. »Ich bin ihre Zwillingsschwester.«
Und dann begann sie mit brüchiger Stimme zu erzählen.
Ihre Worte hinterließen ein drückendes Schweigen. Von draußen war das Blöken der Schafe und das Rauschen der Bäume im Wind zu hören. Doch keines der Geräusche drang in Leas Bewusstsein. Sie wagte nicht, Joris anzusehen, und konzentrierte sich deshalb ganz auf Arne. Sein Gesicht war jetzt nicht nur angestrengt, sondern grau.
»Ich kann nicht glauben, dass sie tot ist. O Gott, es ist alles meine Schuld!«
»Du hättest das Unglück nicht verhindern können.«
»Aber wenn ich hier gewesen wäre, wenn ich ihr beigestanden hätte, dann … «
Arne stand auf und trat ans Fenster. Lea sah, wie es in seinem Gesicht arbeitete. Arnes Mundwinkel zuckten. »Ich werde morgen nach Quincy reisen, um mit eigenen Augen ihren Namen auf der Passagierliste zu lesen. Vielleicht werde ich dann glauben können, dass sie tot ist. Entschuldigt mich. Ich muss allein sein«, brachte er gepresst hervor, schob den Stuhl zurück und ging hinaus.
Lea sah ihm nach, bis Arne in einem der Ställe verschwunden war.
Joris hatte die ganze Zeit über geschwiegen. Leas Blick streifte über sein Gesicht, das blass war und versteinert wirkte. Schnell senkte sie den Blick. Joris betrachtete sie wie eine Fremde. Lea spürte, wie sie zu frösteln begann.
»Du hast den Tod deiner Schwester geschickt ausgenutzt. Ich kann nicht begreifen, dass ich auf dich hereingefallen bin. Diese vielen Lügen! Und ich habe sie alle geglaubt.«
Lea hatte das Gefühl, jemand greife ihr nach der Kehle. »Es waren nicht alles Lügen.«
»Nein?« Er lachte bitter auf. »Du hast nur niemals die Wahrheit gesagt. Aber das ist natürlich was anderes. Wie musst du dich über mich amüsiert haben. Den Kerl, der so leicht zu täuschen ist. Der sich wie ein verliebter Ochse in dein Zimmer schleicht, um Dinge zu berühren, die dir gehören, nach dir riechen. Was wolltest du? Eine Farm besitzen, die dir nicht zusteht? Deine Verführungskraft an einem Mann ausprobieren, der sich nicht von dir verführen lassen durfte? Sehen, wie weit ich gehen würde? Was?« Er war in seiner maßlosen Enttäuschung immer lauter geworden.
»Bitte, Joris, hör auf!« Hilflos breitete Lea die Arme aus. »All dies … Es ist einfach geschehen. Mir ist bewusst, wie furchtbar falsch es war, Rebekkas Platz einzunehmen, aber ich war in einer Notlage und habe mich deshalb dazu entschlossen.«
»Eine Notlage ist keine Entschuldigung für Betrug! Mein Gott,
Weitere Kostenlose Bücher