Tochter der Insel - Historischer Roman
ich glaubte, die Frau meines Bruders zu lieben. Kannst du dir vorstellen, wie weh das getan hat? Es wäre so leicht für dich gewesen, mich weniger leiden zu lassen.«
»Bitte, lass es mich erklären.«
»Es gibt nichts zu erklären.« Joris’ Hand schlug krachend auf den Küchentisch. »Warum ist mir die Täuschung nicht eher aufgegangen? Ich habe die Wahrheit unbewusst schon an dem Tag geahnt, als wir uns im Wäldchen begegnet sind. Du hast die Blume hochgehoben und die Ärmel deines Kleides sind nach unten gerutscht. Oberhalb des Ellenbogens hätte eine Narbe sein müssen. Die, nach der Arne vorhin geschaut hat. Die Lea, die ich kannte, hatte sich an einem Holzsplitter den Arm aufgerissen. Ich selbst habe die Wunde genäht und sie ist auch gut verheilt. Doch die Narbe blieb. Ich wusste damals im Wäldchen ganz genau, dass etwas seltsam war, mir wurde aber nicht deutlich, was. Ich konnte den Gedanken nicht fassen. Wie kann man so verblendet sein!«
Er war aufgestanden und wandte ihr kalt den Rücken zu.
»Joris, bitte versuche doch, mich zu verstehen. Ich wusste weder ein noch aus. Die Trauer um Rebekka lähmte mich und so habe ich nach dem Halm gegriffen, der sich mir entgegenstreckte. Ich habe nicht geahnt, dass es mir so schwerfallen würde, dich zu belügen. Und das ist die Wahrheit.«
Als Joris sich zu ihr umdrehte, sah Lea Zorn und Enttäuschung in seinem Gesicht.
»Ach wie rührend. Es ist dir schwergefallen, mich zu belügen. Die ganze Zeit, die wir zusammen verbracht haben. All die Momente, in denen wir uns so nahe waren. Du hättest mir alles erzählen können. Ich hätte es verstanden.«
»Ich habe ständig daran gedacht. Und ich war oft genug nahe daran, es zu tun. Aber ich konnte nicht. Da war die Angst, du würdest dich so verhalten, wie du es jetzt tust. Die Angst vor deiner Ablehnung.«
»Hast du eine Ahnung, wie mir in diesem Moment zumute ist? Ich komme mir vor, als sei ich benutzt und verraten worden. Ja, vor allen Dingen verraten.«
»Das wollte ich nicht.«
Joris durchbohrte Lea mit einem Blick, der all ihre Hoffnungen schwinden ließ. Verletztheit und noch etwas anderes lag darin. Vielleicht die Erinnerung an einen anderen Betrug. Sie hatte die Narben eines Verrats aufgerissen, der immer noch an Joris nagte.
»Du kannst hier nicht bleiben.« Seine Stimme klang endgültig. »Es ist mir egal, wohin du gehst. Ich werde dir Geld geben, damit du verschwindest. Am besten zurück auf diese Insel, von der du gekommen bist. Arne kann dich morgen mitnehmen nach Quincy. Ich reite ins Dorf und übernachte dort. Wenn ich zurückkomme, dann möchte ich dich hier nicht mehr sehen!«
Lea hatte das Gefühl, die Sonne verdunkle sich. Als Joris fort war, schlang sie die Arme um ihren Leib und rang nach Atem. Tropfen fielen auf ihr Kleid, sie fing hemmungslos zu weinen an.
Sie wusste nicht, wie lange sie sich dem Ansturm der Tränen hingegeben hatte. Irgendwann spürte sie, wie sich jemand neben ihr auf die Bank setzte. Eine Hand berührte Leas Wange und strich ihr das Haar aus dem Gesicht. Durch den Tränenschleier erkannte sie langsam den Mann. Arne war gekommen und Lea versuchte mit dem Weinen aufzuhören.
»Lass mich bitte allein!«
Arne schüttelte den Kopf und nahm sie ohne ein Wort in die Arme.
»Wie musst du gelitten haben! Deine Schwester tot – und niemand, dem du davon erzählen konntest. Joris und du, ihr habt euch ineinander verliebt, oder?«
Lea nickte nur. Im Zimmer wurde es ganz still. Nur der Wind war zu hören, der am Fenster rüttelte und die Blätter der Bäume rauschen ließ.
»Rebekka sah zwar aus wie ich, aber ich bin nicht Rebekka. Ich habe gedacht, ich könnte es sein. Zumindest eine Zeit lang. Ich habe geglaubt, wir wären zwei Hälften eines Ganzen und ich hätte deshalb das Recht, für eine Weile in ihre Haut zu schlüpfen. Doch das war falsch.«
Arne setzte sich Lea gegenüber und betrachtete sie aufmerksam.
»Mein Gott, du siehst wirklich genauso aus wie sie!« Er wandte das Gesicht ab, doch Lea sah seine Erschütterung und den tiefen Kummer. »Weißt du, mir kommt es vor, als sei alles nur ein böser Traum. In den Monaten, die ich fort war, hatte ich genug Gelegenheit zum Nachdenken. Ich habe mir geschworen, mich zu ändern, und gehofft, dass Lea … « Er hielt inne. »Ich schaffe es nicht, sie Rebekka zu nennen. Kannst du das verstehen?« Lea nickte.
»Ich hatte gehofft, dass Lea mir glauben würde und wir einen neuen Anfang wagen könnten. Wir haben nicht
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