Tochter der Insel - Historischer Roman
anderes, dies für eine richtige Leserschaft zu tun. Lea merkte, dass der Fotograf sie immer noch auffordernd ansah.
»Warten wir erst einmal ab, ob dir meine Geschichte gefällt«, bremste sie seine Begeisterung. Doch er ließ sich nicht davon abhalten, schon mal ein Foto von ihr zu machen.
»Komm, setz dich hierher. Ich werde den Vorhang ganz zurückziehen, um genügend Licht zu haben. Das Verbrennen von Magnesium möchte ich mir sparen. Das wird dem Bild zugutekommen. Es wird weicher und heimeliger wirken.«
Während Joris die Tiere fütterte und sie selbst sich unbehaglich hin und her bewegte, sprang Nikolas begeistert um Lea herum, zog an dem Kragen des weinroten Kleides, zupfte ihr Haar zurecht. »Ich werde eine Aufnahme für dich auf Blech ziehen. Dann ist sie fast unverwüstlich. Ein weiterer Abzug ist natürlich für die Mannigfaltigkeit bestimmt. Damit wir auch das passende Gesicht zu unserer Auswanderergeschichte haben.«
Aus einer kleinen handlichen Tasche, die enorm schwer zu sein schien, kramte Nikolas eine Kamera hervor. Hinter dem Haus hatte er in Windeseile ein Zelt aus gummiertem Segeltuch aufgebaut.
Das fertige Foto roch nach Chemikalien und einem Überzug, mit dem Nikolas es versehen hatte. Lea blickte ungläubig auf das Porträt einer jungen Schönheit mit sehnsüchtigen Augen. Ihr erstaunter Blick streifte den Fotografen.
Nikolas lächelte ihr zu. »Wenn ich es nicht besser wüsste, dann würde ich bei diesem Bild an eine feurige Italienerin denken.«
Lea errötete. Sie dachte an ihren unbekannten Vater und wünschte sich, das Rätsel ihrer Vergangenheit lüften zu können. Sie seufzte tief. Es würde für immer ein Geheimnis bleiben!
10
A ls Nikolas sich verabschiedet hatte, fiel Lea erschöpft in den Schaukelstuhl. Sie fühlte sich wie gerädert. Ihr Blick schweifte nach draußen. Leichter Dunst lag über der Weide. Vögel lärmten. Sie krächzten und zogen am Himmel ihre Kreise.
Joris war noch einmal zu den Ställen gegangen und kam jetzt auf das Haus zu. Er schritt geruhsam an den wilden Lupinen vorbei und öffnete dann die Tür. Er brachte den Geruch nach Gras und Blumen mit sich ins Zimmer.
Joris lehnte sich gegen den Türrahmen und sah Lea einfach nur an. Tief in ihrem Herzen begann es zu beben. Sie versuchte ein Zittern zu unterdrücken, vermochte es aber nicht. Ein Lächeln legte sich auf ihr Gesicht und dann lachten sie beide. Einfach nur aus Freude aneinander und darüber endlich allein zu sein. Vielleicht auch, weil gemeinsames Lachen unverfänglicher war als eine Umarmung. Sie sahen sich mit leuchtenden Augen über den Raum hinweg an, der noch trennend zwischen ihnen lag.
Lea atmete tief durch. Es würde sich kein besserer Moment finden!
»Joris, ich bin so stolz auf dich und danke dir für dein Vertrauen. Und ich will es erwidern! Es gibt etwas, das du wissen musst. Und ich werde es dir jetzt auf der Stelle erzählen, bevor wieder etwas dazwischenkommt.« Sie war unvermittelt ernst geworden.
»Du hast es schon angedeutet. Wenn es um meinen Bruder geht, Lea, er muss dich einfach freigeben. Du liebst ihn doch nicht mehr, oder?«
Lea schüttelte den Kopf und wollte etwas sagen, doch Joris hob die Hand. »Ich werde mit ihm sprechen. Wir finden gemeinsam einen Weg!«
»Joris, Arne braucht mich nicht freizugeben. Ich gehöre nicht zu ihm. Habe nie zu ihm gehört. Ich bin nicht Lea. Nicht die Lea, die du kennst.«
Joris runzelte die Stirn und ihr wurde bewusst, wie wirr ihre Worte klangen.
Sie versuchte es erneut. »Sie war meine Schwester und hieß Rebekka. Ich habe erst hier in Amerika erfahren, dass sie tot ist, und wusste mir keinen Ausweg, als ihre Identität anzunehmen.«
Lea schwieg für einen Moment. Sie trat ans Fenster, um Joris’ ratlosem Blick zu entgehen, und versuchte verzweifelt sich zu sammeln, Klarheit in ihre Gedanken zu bringen. Es musste ihr gelingen, die richtigen Worte zu finden!
Zunächst maß Lea dem dunklen Punkt in der Ferne keine Bedeutung zu. Doch dann erkannte sie einen Reiter, der langsam auf die Farm zutrabte. Der Mann trug einen großen breitkrempigen Hut.
Lea gab einen gequälten Seufzer von sich. »Es ist zum Verzweifeln! Ich muss dir noch so viel erzählen und ausgerechnet jetzt kommt jemand.«
»Ich bin gleich wieder bei dir.«
Joris öffnete die Tür und trat hinaus.
Der Reiter kam näher, riss den Hut mit der breiten Krempe vom Haupt und warf die Kopfbedeckung jubelnd in die Luft.
»Guten Tag, Joris!«
»Arne!«
Lea hörte
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