Tochter der Insel - Historischer Roman
gerne geholfen.« Bell schüttelte verständnislos den Kopf.
»Oh, du siehst ja, ich habe mir selbst zu helfen gewusst.« Lea wies auf ihren Sekretär, auf dem sich die Papiere stapelten. »Ich muss schon gegen die Uhr arbeiten, um rechtzeitig fertig zu werden. Jeden Freitag schickt Nikolas einen Laufburschen, der die Berichte abholt und mir neue Fotografien bringt.«
Bell blickte sich anerkennend um. Der Raum, in dem Lea arbeitete, hatte ein großes Fenster zum Garten. Auf der Fensterbank lagen, ebenso wie auf dem Schreibtisch und den Stühlen, beschriebene Blätter. Sie alle trugen Leas gestochen scharfe Handschrift. An der Wand hingen eine große Uhr und einige Fotografien. Auf ihnen waren Dampfboote, Ochsentreiber mit ihren Gespannen und der neue Gasthof The Horse zu sehen, in dem Bell abgestiegen war.
An sonstigem Mobiliar gab es im Raum noch einen riesigen Schrank mit einer Vielzahl von Schubladen und Regalen. Dutzende von Büchern lagen darauf. Bell legte den Kopf schräg und studierte einige Titel. Wissen aus aller Welt stand dort und Die Tiere des Erdballs.
»Mein Arbeitsmaterial. Ich muss ja schließlich wissen, worüber ich schreibe«, lachte Lea.
»Ich frage mich, wie du es schaffst, so gute Texte zu verfassen.«
Bewundernd blickte Bell auf die Illustrierte Mannigfaltigkeit in ihren Händen. Auf der ersten Seite prangte eine Zeichnung der Prärie.
» Wenn die Prärie ihren geblümten Frühlingsmantel anlegt, so erscheint sie in ihrem schönsten Schmuck. Veilchen leuchten zwischen den zarten Gräsern und Erdbeerblüten versprechen einen reichen Überfluss an süßen Früchten. Wilde Rosen und Astern, so üppig wie sie kein Garten der Erde aufziehen kann, nicken einem zu, als habe die Hand des ewigen Werkmeisters sie gerade erst geschaffen «, zitierte Bell aus dem Text darunter. »Das ist wunderschön, Lea.«
»Ich bin zufrieden. Weißt du, es macht mir große Freude, diese Manuskripte für Nikolas anzufertigen. Er ist ein begnadeter Fotograf. Es sind seine Aufnahmen, die es mir erst ermöglichen zu schreiben.«
»Na, nun stell dein Licht nur nicht unter den Scheffel. Was wären seine Fotografien ohne deine Texte!« Bell schlug mit glänzenden Augen eine weitere Seite auf. Sie zeigte eine ägyptische Pyramide. Der Artikel darunter trug die Überschrift: »Gift und Gegengift«. Bell las halblaut und ihre Mundwinkel begannen zu zucken.
» Ein Professor aus Rostock hat in einem Buch über die Entstehung der ägyptischen Pyramiden geschrieben und zu beweisen versucht, dass diese nicht Werke der Kunst, sondern der schaffenden Natur wären. Professor Lichtenberg aus Göttingen behauptet, dieses Buch könnte nicht besser widerlegt werden, als wenn man in einer dagegen zu schreibenden Abhandlung zu beweisen suchte, dass des Rostocker Professors Schrift nichts als eine unwillkürliche Kristallisation der Tinte sei. Köstlich, Lea!«
»Mir blieb nur wenig Raum für einen Text und so habe ich mich auf diese Zeilen beschränkt.«
»Bist du eigentlich die einzige Berichterstatterin, die für Nikolas arbeitet?«
»Es gibt noch einen Mitstreiter, der heißt Rupert. Wir teilen uns die Aufgaben. Rupert widmet sich mehr den Themen, die Männer angehen. Er hat es außerdem übernommen, die Fotografien und Berichte nach Deutschland weiterzuleiten. Ich dagegen bin für den Verkauf der Mannigfaltigkeit hier in Amerika zuständig.«
Bell riss die Augen auf. »Ich dachte, das Bilderblatt wird nur in Deutschland verkauft.«
»Bis vor Kurzem war es auch so. Vor acht Wochen ist zum ersten Mal eine Kiste mit einer Anzahl von 250 Exemplaren in Quincy angekommen und die Zeitschrift hat sich sehr gut verkauft. Seitdem vertreiben wir regelmäßig eine kleine Auflage in Amerika. Ich führe Buch über die Verkäufe, bezahle die Boten und händige ihnen die Illustrierten und die Umhängetaschen aus.«
»Wird die Zeitschrift nur in Quincy verkauft?«
»Nein. Ein Teil der Bilderblätter findet ihren Weg auf Planwagen bis in die Prärie, andere werden auf Dampfbooten nach St. Louis und New Orleans verschifft. Der größte Teil bleibt allerdings hier in der Stadt. Wenn einer der Boten erkrankt, dann springe ich auch schon mal als Laufbursche ein. Du magst es nicht glauben, aber es macht mir Freude, unser Blatt an den Mann zu bringen. Ich versuche immer möglichst viele der vermögend aussehenden Deutschen anzusprechen. Man muss freundlich und hartnäckig sein.«
»Ich kann mir das genau vorstellen und frage mich, wie du es
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