Tochter der Insel - Historischer Roman
etwas zum Trinken. Das können wir jetzt gut gebrauchen nach diesem Abenteuer.« Joris bemühte sich um einen leichten Tonfall.
»Sag mir noch schnell, ob die Flüchtlinge in Sicherheit sind.«
»Alles bestens. Sie sitzen trocken im Grashaus. Du hast deine Sache gut gemacht.«
Kurze Zeit später saßen sie sich mit einem Whisky gegenüber. Nachdem Joris sich ausgiebig nach Nikolas erkundigt hatte, herrschte beklemmendes Schweigen.
Schließlich atmete Joris tief ein und sagte: »Ich muss dich um Verzeihung bitten. Ich bin dir einiges schuldig geblieben. Auf deine Briefe hast du nie eine Antwort bekommen. Und, Lea, unsere letzte Begegnung … Ich hätte dir gegenüber nicht die Beherrschung verlieren dürfen. Aber du hast mich so wütend gemacht. Seitdem habe ich immer wieder über deine Beweggründe nachgedacht. Warum hast du mir nicht schon viel eher die Wahrheit gesagt? Ich hätte es verstanden!«
»Ich kannte dich zu wenig und hatte nicht das nötige Vertrauen. Ach Joris, was habe ich euch nur angetan! Arne hat sich nach meinem Geständnis wunderbar gehalten … «
»… aber Joris ist rasend geworden«, beendete er ihren Satz.
Plötzlich mussten beide lachen. Ein befreiendes Lachen. Lea spürte, wie ihr das Herz leichter wurde.
»Wie solltest du auch anders reagieren? Du hast mich für selbstsüchtig gehalten und warst über alle Maßen enttäuscht.«
»Stimmt! Ich war bis ins Mark getroffen, verletzt und gekränkt. Nach so langer Zeit alleine auf der Farm habe ich geglaubt, nie wieder lieben zu können. Und dann kamst du, Lea, die Frau meines Bruders – unerreichbar und doch alles, was ich mir wünschte. Durch dich veränderte sich mein Leben. Alles wurde heller und leichter. Ich begann zu träumen. Doch durch dein Geständnis brach das Kartenhaus meiner Wünsche in sich zusammen.«
»War es sehr schlimm für dich?«
»Ein Albtraum.«
»Arne hat mir erzählt, dass er jetzt die Mühle betreibt und du auf der Farm arbeitest. Er behauptet, dass nicht ich der Grund dafür bin.«
»Ich musste mich für eine Weile in mein Schneckenhaus zurückziehen. Arne hat das verstanden. Er hat mich in Ruhe gelassen und sich intensiv mit der Mühle beschäftigt. Dass wir räumlich getrennt sind, hat nichts mit unserem Verhältnis oder mit dir zu tun. Ich glaube, Arne wird ein guter Müller. Er liebt den Umgang mit Menschen und davon hat er auf der Mühle genug. Außerdem versteht er sich prächtig mit Toni. Ein einziges Mal nur war ich wütend auf ihn.«
»Wann?«
»Als er mich mit der Floskel ›Die Zeit heilt alle Wunden‹ trösten wollte. Damit meinte er sowohl seine Trauer als auch die meine. Ich habe ihn hinausgeworfen. Darin bin ich gut – du weißt es! Damals konnte ich mir nicht vorstellen, dass es mir irgendwann wieder besser geht. Doch mittlerweile hat sich der Mittelpunkt meines Lebens verschoben. Ich habe mich wieder auf das Land konzentriert, an dem mein Herz hängt. Diese Liebe hilft mir auszuhalten, dass ich ein Leben ohne dich führen muss. Denn das muss ich doch, oder?«
Lea nickte. Sie spürte einen Kloß in der Kehle. »Es war wohl die Sehnsucht nach Nähe, die mich Geborgenheit mit Liebe verwechseln ließ.«
Joris nickte. »Ich habe in deinen Briefen davon gelesen.« Er drehte sein Whiskyglas zwischen den Fingern und blickte in die Vollmondnacht hinaus. »Nachdem du fort warst, glaubte ich vor Kummer verrückt zu werden. Ich habe bis zum Umfallen gearbeitet. Das hat geholfen. Aber du fehlst mir!« Seine Augen suchten die ihren und Lea las unermessliche Sehnsucht darin.
»Ich habe mich auch mit Arbeit betäubt. Es ist ein Glück, dass ich jetzt mit dem Schreiben mein Geld verdienen kann.«
»Ist es wirklich das, was du unter Glück verstehst?«
»Ach Joris! Glück – was ist das überhaupt? Der Himmel auf Erden, das ewige Feuer? Ich glaube nicht daran. Glück ist ein flüchtiges Gut. Wenn ich schreibe, dann macht mich das meistens glücklich. Aber auch während meiner freien Zeit bin ich nie ganz unglücklich.«
»Dann warst du auf der Farm also auch nie ganz glücklich?«
»Die Zeit mit dir, das war etwas anderes. Eine so intensive Nähe zu einem Menschen habe ich nie zuvor erlebt. Es war wie ein Traum, für eine kurze Zeit. Doch ein Traum kann nicht ewig dauern.«
Sanft schloss er sie in die Arme. Lea tat einen tiefen bebenden Atemzug und legte den Kopf an seine Brust. Durch das Hemd konnte sie sein Herz schlagen hören. Sie fühlte, wie seine Hand über ihr Haar strich. Dann schob
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