Tochter der Insel - Historischer Roman
triumphierend auf seinen Arm, der in einer Schlinge baumelte. »Er ist noch dran.«
Lea stieß erleichtert die Luft aus und umarmte ihn.
»Mein Gott, bin ich froh, dass alles so glimpflich ausgegangen ist. Da haben wir uns ja in einen Schlamassel geritten!«
»Das ist eine gute Geschichte für unsere nächste Ausgabe«, sagte Nikolas munter. Er schilderte Rupert und Kalle in bunten Farben das Geschehen.
»Ihr habt eindeutig mehr erlebt als wir«, sagte der Setzer trocken.
»Aber auch unsere Kisten sind leer! Und die der Laufburschen auch. Sie haben alle Exemplare verkauft. Das Geld für die nächste Ausgabe liegt also schon bereit. Ein Erfolg auf ganzer Linie.« Stolz reckte Rupert den Kopf in die Höhe.
»Von kleinen Tiefschlägen abgesehen. Vielen Dank, Jungs, dass ihr mich besucht habt. Ich werde noch einige Tage hier ausharren müssen. Und weil das so ist, muss ich mit Lea jetzt eine Liste der Sachen zusammenstellen, die sie mir bringen soll. Geht ihr ruhig wieder an die Arbeit.«
Als die beiden Männer fort waren, fiel Nikolas’ Fröhlichkeit in sich zusammen. Er seufzte tief auf und ein ernster Blick streifte Lea.
»Wir haben ein Problem!«
»Du kannst dir die Auszeit ruhig gönnen. Wir kommen alleine ganz gut zurecht.«
»Ihr schon. Aber die Flüchtlinge nicht, die ich morgen Nacht zu Joris bringen soll!«
Lea blickte ihn entsetzt an. Mit wackeligen Knien ließ sie sich neben Nikolas auf das Bett sinken.
»Wo musst du sie in Empfang nehmen?«
»Auf einer Farm, die einem alten Knaben namens Jacko gehört und etwa auf halber Strecke zwischen Quincy und East Friesland liegt. Jacko betreibt seit einigen Wochen einen Pionier-Landhandel und nutzt diesen als Deckmantel für den Transport der Flüchtlinge. Für die Fahrt von der Farm bis zum Grashaus steht ein Pferdewagen bereit. Kannst du eigentlich mit einem Gespann umgehen?« Der letzte Satz kam betont gleichgültig.
»Ich habe schon als Kind mit dem Inselkutscher die ankommenden Gäste abgeholt und zu den Quartieren gebracht. Den leeren Wagen durfte ich lenken und um die Pferde habe ich mich auch oft gekümmert. In den Herbsttagen, wenn kein Gast sich blicken ließ, bin ich über den Strand geritten, um ihnen Bewegung zu verschaffen.« Ihre Augen hatten einen träumerischen Ausdruck angenommen, der sich sogleich wieder verlor.
Unausgesprochen stand eine Frage im Raum. Lea griff nach Nikolas’ Hand. »Ich werde die Flüchtlinge zum Grashaus bringen!«
5
L ea fühlte sich nicht wohl. Sie trug ein dunkles Kleid und einen weiten schwarzen Umhang, der sich beim Reiten im Wind blähte. Ihr Haar war verborgen unter einem großen breitkrempigen Hut.
Nikolas hatte ihr zu diesem Aufzug geraten. Trotz des hellen Mondscheins bestand die Welt nur aus grauen Schatten und sie war einer davon.
Erleichtert blickte sie von der Wegbeschreibung auf die Farm vor sich. Es gab keinen Zweifel, dies musste sie sein!
Lea stieg vom Pferd und reckte die verspannten Glieder. Sie band das Pferd an, stieg die Holzstufen zur Eingangstür hinauf und klopfte.
»Wer ist da?«, wisperte es.
Lea nannte das Losungswort und die Tür öffnete sich. Jemand leuchtete ihr direkt ins Gesicht. Als sie sich an die Helligkeit gewöhnt hatte, erkannte Lea ein kleines verhutzeltes Männlein mit grauem Bart.
»Wer sind Sie?« Die Stimme des Mannes zitterte leicht und Lea entging es nicht, wie er nach seiner Waffe tastete.
»Das tut nichts zur Sache. Ich habe Nikolas’ Auftrag übernommen. Er ist angeschossen worden und kann nicht kommen.«
Der Alte zögerte kurz, dann trat er zu ihr nach draußen.
»Drüben.« Er nickte zu einem kleinen Stall hin, der sich hinter der Farm befand. Dort klopfte er mit den Fingerknöcheln einen bestimmten Rhythmus. Nach einem kurzen Murmeln schoben sich drei schemenhafte Gestalten ins Freie. Sie trugen dunkle Umhänge und Kapuzen. Zwei von ihnen waren muskulös und groß. In der dritten Person glaubte Lea eine Frau zu erkennen. Ein voller Mond stand am Himmel und beleuchtete die gespenstische Szene.
Lea hörte den dunklen Singsang der Farbigen, das Vibrieren in ihren Stimmen.
Leas Magen zog sich nervös zusammen, als ihr bewusst wurde, dass das Schicksal dieser Menschen in ihrer Hand lag.
»Wir müssen uns beeilen. Ich bin gewarnt worden. Häscher sollen einen Wink erhalten haben«, nuschelte der Graubart.
Lea huschte hinter ihm her, kletterte auf den bereitstehenden Wagen und ergriff die Zügel. Die Flüchtlinge verschwanden im Inneren des
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