Tochter der Insel - Historischer Roman
Karrens.
»Viel Glück!«
Lea blickte angestrengt auf Nikolas’ Karte. Zu Jackos Farm hatte sie es ohne Schwierigkeiten geschafft, doch die jetzt auftauchende Abzweigung verunsicherte sie. Unwillkürlich zügelte Lea die Pferde und schaute zurück. Weit entfernt konnte sie im hellen Schimmer des Mondlichts die Felder sehen, an denen sie vorbeigekommen war. Der Pfad geradeaus schien wie ein dunkler Tunnel. Zu beiden Seiten säumte Gebüsch den Weg.
Die Prärie wirkte in der Nacht fremd. Angst stieg in ihr auf. Bewegungslos lauschte sie auf die unzähligen Geräusche um sich herum. Ein leichter Wind brachte Blätter zum Rascheln. Es knackte im Gehölz. Was, wenn irgendwo hinter den Sträuchern jemand ihr auflauerte? Was, wenn man ihr schon auf die Schliche gekommen war?
Sie hatte sich zu diesem Unternehmen bereit erklärt, doch nun, da sie mittendrin steckte, drohte ihr alles über den Kopf zu wachsen. Was konnte sie ganz allein gegen die Gefahren der Wildnis und eine Horde Sklavenfänger schon tun? Schweiß lief Lea über die Stirn.
»Gibt es Probleme?«
Lea zuckte zusammen. Die weiche Stimme gehörte einem der Sklaven, der jetzt seinen Kopf durch die Lederplane steckte. Er sprach langsam und deutlich, so dass sie seine Worte gut verstehen konnte. Lea riss sich zusammen. Diese Menschen verließen sich auf sie! Sie allein war für ihr Leben verantwortlich und durfte sich nicht von dunklen Schatten abhalten lassen!
»Ich musste mir nur über den Weg klar werden«, sagte sie beruhigend und hoffte, die richtigen Worte gewählt zu haben.
Lea presste die Lippen fest zusammen und trieb die Pferde an. Bald hüllte dunkles Gebüsch den Wagen ein. Nur hier und da bahnte sich das silberne Mondlicht einen Weg durch das Dickicht. Ein Geräusch ließ Lea zusammenfahren, doch es waren nur Präriehühner, die sie aufgescheucht hatten. Und endlich fand sie die Abzweigung, die Nikolas aufgezeichnet hatte. Der selten genutzte Pfad führte in die direkte Nähe des Grashauses.
Die Zeit verstrich quälend langsam. Lea versuchte, ihre Gedanken von möglichen Verfolgern abzulenken. Sie dachte an Joris und konnte sich nicht länger der Tatsache verschließen, dass sie ihn wiedersehen würde. All die Monate hatte sie sich eine Aussprache mit ihm gewünscht, doch nun kroch die Angst vor seiner Ablehnung in ihr hoch. Verzweifelt schüttelte Lea auch diesen Gedanken ab.
Allein in der Wildnis, nur von ihren düsteren Befürchtungen angetrieben, verlor sie jegliches Gefühl für die Zeit. Das Rauschen eines Baches, das sie in der Ferne hören konnte, mischte sich unter die inzwischen vertrauten Geräusche der Prärie.
Wieder erreichte sie eine Abzweigung. Konnte es sein, dass sie schon kurz vor dem Ziel war? Lea starrte angestrengt in die Nacht und dann stahl sich ein befreites Lächeln auf ihr Gesicht. Die Mühle! Sie konnte von Weitem die Mühle ausmachen!
Erleichterung durchströmte sie. Bald würde es geschafft sein! Doch schlagartig verschwand das erlösende Gefühl. Geräusche durchschnitten die Stille der Nacht. Lea zuckte zusammen und wurde kreidebleich. Hufgetrappel!
Sie trieb die Pferde an, die in fliegender Hast über die Prärie jagten. Ihre Hände wurden feucht, doch sie umklammerte die Zügel nur umso fester. Ihr Puls raste. Was sollte sie jetzt tun? Anhalten und versuchen, Tiere und Wagen zu verstecken, oder fahren wie der Teufel? Ihre Augen suchten vergeblich nach einem möglichen Schlupfwinkel. Sie raste an der Mühle vorbei und folgte dem verborgenen Pfad in das nahe gelegene Wäldchen.
Unbarmherzig lenkte Lea die Pferde durch das dichte Unterholz. Der Boden war weich und Lea hoffte, das Moos würde ihre Spuren schnell verschlucken. Es schien endlos zu dauern, bis sie dorthin gelangten, wo der Wald am dichtesten war. Lea hielt den Karren an. Im Licht des anbrechenden Morgens konnte sie die im Dickicht fast unsichtbare Holzbrücke erkennen, die über eine große trockengefallene Senke führte.
»Schnell, springt vom Wagen und versteckt euch. Da drüben, unter der Brücke, ist eine tiefe Mulde. Kriecht unter das Gestrüpp«, raunte sie nach hinten.
Ohne ein Wort glitten die drei Gestalten zu Boden und hechteten davon.
Lea seufzte erleichtert auf. Jetzt musste sie nur noch versuchen, den Wagen zu verstecken. Und sie wusste auch schon, wo. Vielleicht war es noch zu schaffen!
In fliegender Hast trieb Lea die Pferde an. Der Wald lichtete sich und sie bog auf den Weg zur Farm ein. Erleichtert erkannte sie in einiger
Weitere Kostenlose Bücher