Tochter der Schatten - Vara, M: Tochter der Schatten
Mann starrte auf die hinter ihr zufallende Tür.
»Vorsicht, sehr heiß.« Er nickte ihr zu, als sie ihm den Teller hinschob und noch den Brotkorb daneben hinstellte. Dazu einen Löffel und eine Papierserviette. Die Suppe würde ihm guttun, und mit dem Brot wurde er schon satt. Da konnte Antonio nicht viel meckern. Aber das tat er ohnehin immer erst nachher, nie direkt vor den Leuten.
Sie blieb hinter dem Tresen stehen und wischte Gläser trocken, während der Mann seine Suppe löffelte. Sehr langsam, als wäre jeder Bissen ein Festmahl, dabei sah er sich um wie ein geprügelter Hund, der Angst hatte, ein anderer könnte ihm sein Futter streitig machen. Armer Teufel. Sie hatte Blutspuren auf seinem hellgrauen Hemd bemerkt, auch auf seinem Kinn. Vielleicht hatte ihn jemand geschlagen. Und nicht das erste Mal, dafür zeugte eine schlecht verheilte Narbe an der Schläfe. Und eine weitere quer über dem Handrücken. Er selbst sah nicht so aus, als wäre er besonders aggressiv, sondern wirkte eher gehetzt. Auch auf seinen Fingern war etwas Blut.
Eine große Tasse Kaffee brachte bestimmt etwas Farbe in seine blassen Wangen. Als sie die Tasse vor ihn hinstellte, schnupperte sie unauffällig. Ein Geruch nach Erde und Wald ging von ihm aus, als hätte er im Park übernachtet. Aber er roch nicht nach Alkohol und auch nicht wie jemand, der nichts von Wasser und Seife hielt. Sie wischte geflissentlich mit dem Tuch über den Nachbartisch, als sie mit dem Kopf nach hinten deutete: »Wenn Sie sich vielleicht ein bisschen frisch machen wollen? Dort hinten ist die Toilette. Ein sauberes Handtuch hängt auch drin.«
Er sah auf seine Hände und versteckte sie sofort unter dem Tisch. »Ja. Gut.« Er leerte die Kaffeetasse in einem Zug und verschwand danach im hinteren Teil des Restaurants. Zu Gabriellas Verwunderung drückte er sich so ängstlich an der Küchentür vorbei, als lauere dort drinnen ein Monster auf ihn, das jeden Augenblick hervorstürzen und ihn anfallen konnte.
Als er wieder herauskam, sah er schon weit manierlicher aus. Sauberes Gesicht, saubere Hände, irgendwie hatte er es sogar geschafft, sein Haar ordentlich nach hinten zu frisieren. Er hatte ein sympathisches Gesicht, in dem nicht einmal die schlecht verheilte Narbe oder der sprießende Bart wirklich störte. Wenn da nicht der unruhige Ausdruck in seinen Augen gewesen wäre, hätte er gar nicht so übel ausgesehen.
Gabriella hielt ihn an der Restauranttür auf, als er gehen wollte, und reichte ihm ein Päckchen. »Nur eine kleine Wegzehrung«, sagte sie, mit einem Mal verlegen über seinen überraschten Blick. Dann drückte sie ihm noch seine beiden Münzen in die Hand. »Sie bekommen noch etwas raus«, fügte sie leise hinzu, weil sie wusste, dass Antonio in diesem Moment Ohren wie ein Elefant bekam.
Sein Blick glitt langsam von ihrem Gesicht zu den beiden Münzen auf seinem Handteller. Als er wieder hochsah, las sie Beschämung in seinen Augen. Er schüttelte langsam den Kopf. »Nein, das …«
»Ich will Sie nicht kränken«, stieß sie hervor. »Aber falls Sie morgen Zeit haben, so könnte ich Hilfe brauchen. Meine Kollegin ist für ein paar Tage nicht da.« Es wäre nicht das erste Mal; sie hatte einige Kunden , die ihr für ein warmes Essen halfen, den Müll rauszubringen oder schwere Kisten zu schleppen.
Sein Blick ließ sie nicht los, und sie wurde verlegen. Die Brille rutschte ihr von der Nase, und sie schob sie hastig wieder hinauf. Mein Gott, hatte sie ihn so falsch eingeschätzt? Vielleicht war er gar keiner von der Straße? Seine Kleidung war zwar abgetragen und billig, aber vielleicht hatte er nur einen über den Durst getrunken und war irgendwo im Park eingeschlafen?
Ritas Trällern klang bis zu ihnen heraus. Wieder glitt sein Blick zur Küchentür. Ihre Kollegin sang furchtbar falsch, und Gabriella sah, wie er sekundenlang die Lippen zusammenpresste. Dann nickte er ihr zu. »Gut, morgen.«
»Aber erst am Abend. Am Vormittag habe ich frei.«
»Ist gut.« Er steckte das Geld in die Jackentasche, drehte sich um und ging rasch davon.
Gabriella nahm das Geschirr und trug es in die Küche. Als sie bei Antonio vorbeikam, sagte sie: »Ja, ja, schon gut, ich geb die Summe von mir in die Kasse.«
»Glaube aber nicht, dass ich dir irgendwann dein Gehalt erhöhe, wenn du es so rauswirfst«, rief er ihr nach. Sie zuckte nur mit den Schultern und warf ihm ein strahlendes Lächeln zu. Er brummelte noch ein bisschen weiter, aber es klang schon
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