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Tochter der Schatten - Vara, M: Tochter der Schatten

Tochter der Schatten - Vara, M: Tochter der Schatten

Titel: Tochter der Schatten - Vara, M: Tochter der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mona Vara
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im Türblatt, halb draußen, halb drinnen. Mit einem großen Schritt war er neben ihr. »Wie soll ich denn sonst hereinkommen?«
    »Man klopft an!« Sie mäßigte ihre Stimme. »Man klingelt.« Sie machte es ihm vor, indem sie mit dem Knöchel an die Wand schlug. »So. So klopft man an.«
    »So?« Er lächelte unschuldig, als er sie nachahmte. Seine Hand ging durch die Wand wie durch Luft. »Du hättest mein Klopfen nicht gehört. Und bei der Klingel ist es nicht anders.«
    »Das ist keine Entschuldigung!« Nicht auszudenken, wenn er vielleicht bei noch unpassenderer Gelegenheit hereingeplatzt wäre!
    »Was soll ich denn sonst tun? Warten, bis du zufällig nachsiehst, ob ich vielleicht draußen stehe und warte?«
    »Schleich dich zumindest nicht so an!«
    Sein »Gut« klang kleinlaut genug, um sie zumindest etwas zu besänftigen. »Und man dringt prinzipiell nicht in fremder Leute Wohnung ein. Und schon gar nicht ins Badezimmer.« Das sagte sie sehr langsam und deutlich. Wer wusste schon, was ihm einfiel. Das nächste Mal stand er vor ihr, während sie sich gerade die Beine rasierte oder … Ihre Wangen wurden heiß. Nicht einmal zu Ende denken wollte sie das!
    »Was willst du überhaupt hier? Wir waren gestern verabredet!«
    »Das wollte ich vorhin erklären«, sagte er in einem beschwichtigenden Tonfall. Sein Blick glitt an ihr hinab, und ihr wurde bewusst, dass sie die Hände in die Seiten gestemmt hatte und ihr Bademantel dabei war, vorn auseinanderzurutschen. Mit einer raschen Bewegung zerrte sie ihn wieder zusammen und band den Gürtel fester. Ein bedauernder Ausdruck huschte über sein Gesicht. Sie drehte sich um und tappte vor ihm her in die Küche, ihre bloßen Füße hinterließen feuchte Flecken auf den Plastikboden.
    Als sie beim Tisch stehen blieb und sich nach dem Grauen umdrehte, war er so knapp hinter ihr, dass er sie beinahe berührte. Er war fast einen Kopf größer als sie, und sie musste den Kopf etwas in den Nacken legen. Sein Haar war sehr dunkel, fast schwarz, und nicht grau, wie sie anfangs gedacht hatte. Und seine Augen ebenfalls nicht. Sie waren hellbraun, mit goldenen Pünktchen darin. Eine warme, freundliche Farbe. Und wie er sie ansah. Sie blickte eine Sekunde zu lang und zu tief in diese Augen, dann trat sie hastig zurück, bis sie am Tisch anstieß.
    »Warte hier, ich bin gleich wieder da! Und du bleibst, wo du bist! Rühr dich nicht von der Stelle!« Sie stürzte in ihr Zimmer, um sich mit fliegenden Fingern Jeans, warme Socken und einen Rollkragenpulli überzuziehen. Dann noch kurz entschlossen eine warme Wollmütze über ihr feuchtes Haar. Schönheit war jetzt nebensächlich.
    »Na schön«, sagte sie, als sie zurückkam. »Also, was willst du? Weshalb bist du hier?«
    »Ich will mit dir sprechen. Dich kennenlernen. Du hast mich damals, als du durch mich hindurchgelaufen bist, verändert.«
    Sie runzelte die Stirn »Dich verändert? Inwiefern denn das?«
    Er sah sie offen an. »Davor war ich nur … ein Schatten. Ich dachte nicht, ich fragte nicht. Ich tat nur das, wofür wir geschaffen wurden. Damals kehrte ich zurück, konnte dich jedoch nicht mehr finden. Seitdem suche ich dich.«
    »So.« Gabriella wandte sich um. Mit einer fahrigen Bewegung griff sie nach dem Frühstücksgeschirr, um es abzuwaschen. Sie tat das eher aus Verlegenheit denn aus Ordnungsliebe, und war sich die ganze Zeit über seiner Blicke nur allzu bewusst. Er hatte sie zwei Jahrzehnte lang gesucht. Zwanzig Jahre lang. Sie! Ihr Herz klopfte plötzlich bis zum Hals. Sie brauchte einige Minuten, bis sie sich wieder einigermaßen gefangen hatte.
    Endlich drehte sie sich um. »Kann ich dir etwas anbieten?« Aus Verlegenheit griff sie nach einer Kekspackung, öffnete sie und hielt sie ihm hin. Er schüttelte den Kopf.
    Nein, natürlich nicht. Wie dumm. Er würde ja hindurchgreifen. »Wovon lebst du denn eigentlich?«
    Er zuckte mit den Schultern. »Ich existiere nicht wirklich. Weder hier noch dort.« Seine Stimme hatte bei diesen Worten einen kaum merklichen, bedauernden Unterton.
    »Auch nicht dort, von wo du herkommst?« Ohne dass es ihr bewusst wurde, musterte Gabriella ihn ebenso eingehend wie er sie. Er sah ganz real aus – wenn man davon absah, dass nur sie ihn sehen konnte und er durch alle und alles hindurchlief und umgekehrt. Er warf keinen Schatten, aber sie konnte auch nicht durch ihn hindurchblicken wie durch eine Geistererscheinung. Oder wie sie sich eben eine solche vorstellte. »Hm«, machte sie,

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