Tochter der Schatten - Vara, M: Tochter der Schatten
jetzt, wenn du mich berührst, Gabriella?« Er hatte Angst vor ihrer Antwort. Was war, wenn er für sie immer noch die Kälte und Leere ausstrahlte, die ihr damals Angst gemacht hatten?
Sie lachte und sah auf eine sehr reizende Art verlegen dabei aus. »Es … ist, als würde ich auf eine Herdplatte greifen. Oder einen kleinen Stromstoß bekommen.«
Er runzelte die Stirn. »Ist das schlecht?«
Sie lachte. »Das kommt auf die Herdplatte an.« Sie hob in einer hilflosen Geste die Schultern. »Es ist zumindest sehr ungewöhnlich.«
Mehr als ungewöhnlich, musste Gabriella vor sich selbst zugeben. Sie legte ihre Hand wieder auf den Tisch. »Probieren wir es noch einmal.« Sie räusperte sich. »Der Forschung halber.«
Dieses Mal begnügte er sich nicht, nur ihre Fingerspitzen zu berühren. Er ließ seine Finger sehr bewusst über ihren Handrücken wandern, fuhr weiter über ihr Handgelenk, ihren Unterarm. Dort, wo er sie berührte, prickelte ihre Haut. Noch nie hatte sich jemand so zart, so vorsichtig über ihre Haut getastet. Und noch nie hatte sie das Bedürfnis eines anderen nach ihrer Berührung so stark empfunden. Ganz so, als wäre sie eine Kostbarkeit. Sie sah ihn verwundert an. War sie ihm so wichtig?
In diesem Moment schloss er seine Finger um ihre. Es schien, als würden ihre beiden Hände miteinander verschmelzen, und eine Welle von Zuneigung, Verlangen und Sehnsucht raste durch sie hindurch und ließ sie scharf die Luft einziehen. Er ließ sie los.
»Was hast du gefühlt?« Sie musste sich räuspern, um die Worte klar hervorzubringen.
»Dich. Ich habe dich gefühlt.« Sein Blick war so eindringlich, dass sie beinahe darin versunken wäre. Sie schüttelte den Kopf, wie um einen Bann zu lösen, und setzte sich auf, lehnte sich von ihm weg. Das war ja absurd! Sie war ja drauf und dran, mit einem dieser Grauen zu flirten! Der Mann war ja nicht einmal real. Er war nur ein Schatten, den außer ihr niemand sehen und hören konnte!
Entschlossen erhob sie sich. »Es ist schon spät. Ich muss mich anziehen und ins Restaurant. Was heißt«, setzte sie hinzu, als ihr Gast wie festgeklebt auf dem Stuhl sitzen blieb und sie nur erwartungsvoll ansah, »dass ich dabei gerne allein wäre.«
»Ich könnte doch …«
»Nein, könntest du nicht!« Das fehlte noch. Wer weiß, was ihm einfiel! Er hatte heute schon genug von ihr gesehen. Eine ganze Badewanne voll!
Er erhob sich, blieb jedoch auf dem Weg zur Tür stehen und drehte sich um. »Ehe ich gehe, würde ich gerne noch etwas ausprobieren.« Er lächelte in dieser betörend charmanten Art. »Der Forschung wegen.«
»Was denn?« Sie beäugte ihn misstrauisch.
»Eine Art des Grußes, der bei euch sehr verbreitet zu sein scheint.«
»Ja?« Ehe das Ja? noch richtig heraußen war, stand er schon bei ihr. Nicht mehr als zwei lange Schritte. Und dann spürte sie ihn. Er griff durch sie hindurch und berührte sie doch so intensiv, dass ihr Atem stockte. Eine Berührung von Lippen auf ihrer Wange, die sie eigentlich gar nicht berühren konnten. Zwei Hände an ihren Armen, ihren Schultern, an ihrem Rücken. Eine Hitzewelle, zugleich wie kühles Eis, elektrisches Flimmern.
Erschrocken wand sie sich aus seiner Umarmung, wich zurück und hob abwehrend die Hände, als er wieder nach ihr fassen wollte. Er blieb stehen und sah sie verwirrt an. Täuschte sie sich oder ging sein Atem jetzt schneller als davor? Er hob die Hand und strich damit über seine Lippen. »Was ist das?«, fragte er leise. »Weshalb kann ich dich auf diese Weise fühlen und andere nicht?«
Sie schüttelte hilflos den Kopf und wich noch einen Schritt von ihm zurück, als er die Hand nach ihr ausstreckte, als wolle er den Versuch wiederholen. »Du … musst jetzt gehen.«
»Darf ich dich wieder besuchen?«
»Ja. Nein … ja. Aber wir treffen ein Abkommen. Du tauchst nicht einfach auf. Sobald du vor der Tür stehst, klopfst du nicht, sondern rufst mich. Und wenn ich ›herein‹ sage, dann, erst dann , kommst du herein. Verstanden?«
Er nickte friedfertig, lächelte ihr zu und verschwand durch die Wand neben der Wohnungstür.
Neuntes Kapitel
»Ihre Kollegin ist heute noch nicht da?«
Gabriella war für Antonios italienische Spezialitäten zuständig. Ihr Boss hatte sie vor vier Jahren ohne lange Überlegung eingestellt, als er gehört hatte, dass ihre Großeltern ein Restaurant in Venedig gehabt hatten. Sie stellte den Topf mit den Spaghetti neben dem Herd ab und drehte sich nach dem Sprecher
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