Tochter der Träume / Roman
Kosmetikbeutel heraus. Ich löste die Haarklammer und bürstete mein Haar rasch durch, dann machte ich mich daran, mein Make-up aufzufrischen.
Ich liebe es, mich zu schminken. Es gefiel mir, mein Gesicht als Leinwand zu betrachten, die ich nach Lust und Laune bemalen konnte. Ich war zum Glück mit einer recht guten Haut gesegnet – zumindest sah sie mit getönter Feuchtigkeitscreme schön aus. Das Auffallendste in meinem Gesicht waren meine Augen, die ich gern mit Farben schminkte, die das Blau und Grün der Iris gut unterstrichen. Meine Lippen waren üppig, weshalb ich sie meist dezenter schminkte, es sei denn, ich hatte bestimmte Absichten. Als Kind wurde ich oft wegen meiner Lippen gehänselt, doch heute verspricht jedes Lipgloss prallere Lippen, und viele Ärzte bieten Collagenunterspritzungen an. Ich dagegen bin tatsächlich schon gefragt worden, ob meine Lippen echt sind.
Mit einem feinen Pinsel – dem extraflexiblen der Marke Benefit – erneuerte ich meinen Lidstrich und trug auch frischen Lidschatten auf. Danach mattierte ich mit etwas Puder die glänzende T-Zone und beendete meine Verwandlung mit einem Geschenk der Schminkgötter – Black Honey Gloss von Clinique.
Nicht, dass ich mich allzu sehr verwandelt hätte, aber mit etwas Make-up fühlte ich mich für einen Auftritt in der Öffentlichkeit mit Noah besser gerüstet.
Beschwingt hängte ich meinen Arztkittel über die Stuhllehne, schnappte meine Handtasche, verließ mein Büro und sperrte die Tür hinter mir zu.
Noah wartete bereits im Empfangsraum und plauderte mit Bonnie, die ihn beäugte wie eine fette Katze eine lahme Taube.
Als ich mich näherte, drehte er sich um. Gern hätte ich behauptet, dass ihm bei meinem Anblick die Kinnlade herunterklappte, aber das war leider nicht der Fall. Er stockte nur kurz und sah mich mit einem Blick an, den ich nicht deuten konnte, bei dem es mich aber angenehm warm durchrieselte.
Er war frisch rasiert, und sein Haar war sorgfältig zerstrubbelt und nicht einfach nur unordentlich. Er trug saubere Jeans – ohne zerschlissene Stellen –, dazu einen hellgrauen Pullover unter einer Lederjacke, die um einiges besser aussah als die, die er sonst trug.
Er hatte sich zurechtgemacht. Und das – weit wichtiger – für
mich
.
Er starrte auf meinen Kopf, als ich näher kam. »Stimmt etwas nicht?«, fragte ich und strich mir über den Scheitel auf der Suche nach befremdlichen oder peinlichen Dingen.
Sein prüfender Blick glitt nur ein wenig an mir herab und blieb irgendwo in Schulternähe hängen. »Nein, ich habe Sie nur noch nie mit offenen Haaren gesehen.«
»Oh.« Was sollte ich dazu auch sagen?
Er wirkte ein wenig amüsiert. »Und ich habe überlegt, welche Farben ich benutzt hätte. Für Ihre Haare, meine ich.«
Ich lächelte und fragte mich, ob er alles in seinem Leben als mögliches Motiv für seine Kunst sah. »Und? Sind Ihnen welche eingefallen?«
Er zog nachdenklich die Stirn in Falten. »Ja, einige. Aber ich weiß nicht, ob sie stimmen.«
»Nun, vielleicht finden Sie es beim Abendessen heraus.« Ich wandte mich an Bonnie. »Ich bin kurz vor acht wieder da.« Ich hatte später am Abend noch einige Arbeiten für Dr.Canning im Schlaflabor zu erledigen.
Sie winkte uns mit einer Geste hinaus. »Viel Spaß, ihr beiden!«
Noah verabschiedete sich von ihr, und Bonnie konnte es kaum abwarten, bis er sich umgedreht hatte, um mir gutgelaunt zuzuzwinkern. Doch ich verdrehte nur die Augen.
Da es ein milder Abend war, gingen wir zu Fuß. Ich fand, es wäre eine gute Gelegenheit, etwas mehr über Noah in Erfahrung zu bringen, doch letztlich redete ich die meiste Zeit. Noah war nicht etwa kurz angebunden, er war nur nicht sonderlich mitteilsam, wenn es um ihn selbst ging. Hätte ich ein Gespräch über Malerei begonnen, dann hätte er mir wahrscheinlich die Ohren vollgequasselt, doch dummerweise fragte ich nach seiner Familie – nach
ihm
. Offensichtlich hatte er kein großes Geltungsbedürfnis, denn seine Antworten waren kurz und belanglos.
Ich fragte mich, was er wohl zu verbergen hatte. Und es reizte mich, die Frau Doktor zu spielen, allerdings nicht im anzüglichen Sinn, denn ich war ziemlich sicher, dass er etwas verbarg, dessen er sich stellen sollte.
Zum Glück waren es nur ein paar Blocks zu dem netten kleinen Restaurant in einer Seitenstraße der Sixth Avenue, das von einer indischen Familie geführt wurde. Ich spürte ein leichtes Kribbeln, als ich daran dachte, wie er ganz richtig
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