Tochter der Träume / Roman
im Nebel verbarg, aufscheuchen würde, oder ich versuchte, mich zu konzentrieren und zum Schloss durchzuschlagen, wo ich wieder in Sicherheit war. Schließlich war ich hier in der Traumwelt, wo mir einzig meine Gedanken Grenzen auferlegten.
Ich schloss die Augen und versuchte, die feuchten Fangarme des Nebels zu ignorieren, und ich hoffte, dass es nur der Nebel war, der mich zu umschlingen begann. Ich öffnete meinen Geist, stellte mir den Ort vor, an den ich gelangen wollte, und konzentrierte mich. Verstärkte die Konzentration.
Ich spürte, dass sich etwas veränderte, und zwar genau in dem Moment, als sich kalte Finger um meine krallten, Nägel meine Hand aufkratzten und versuchten, mich in den Nebel zu zerren. Als ich die Augen aufschlug, stand ich in der Haupthalle von Morpheus’ Schloss.
Meine Hand blutete.
»Mist!« Ich hielt meine gesunde Hand unter die verletzte, um die Blutstropfen aufzufangen.
Den Nebel hatte es nicht gekümmert, dass ich Traum- und Menschenwesen war. Er konnte mich weder als das eine noch als das andere zuordnen. Damit war ich eine abnorme Erscheinung und wurde entsprechend behandelt.
Plötzlich spürte ich, wie warme Hände meine blutende Wunde in eine Schüssel mit duftendem, warmem Wasser tauchten. Die Wunde begann zu brennen. Es war Morpheus, der im weißen T-Shirt und Jeans wie ein Bauarbeiter aussah, nicht wie der Gott der Träume.
»Du hast Glück gehabt«, sagte er mit leiser Stimme, während er meine Hand aus dem Wasser nahm und sie in ein weiches Handtuch wickelte. »Ein paar Zentimeter höher, und du hättest ernsthaft verletzt sein können.«
»Was bin ich doch froh«, sagte ich und hätte die Augen verdreht, wenn sie nicht so getränt hätten, weil er Salbe auf meine Wunde strich. »Was ist das für ein Zeug?«
Er lächelte, während er sein Wundermittel auftrug. »Das unterstützt deine Selbstheilungskräfte. Du willst ja keine Infektion bekommen.« Wohl wahr. Der Himmel wusste, was sich in dem Nebel tummelte.
Als Morpheus fertig war, war meine Hand verbunden und der Schmerz fast verschwunden, dafür hatte ich einen seltsamen Kloß im Hals. Wie kindisch. Da hatte mein mir entfremdeter Vater in fünf Minuten mein Wehwehchen verarztet, und ich verging fast vor Rührung.
»Danke«, sagte ich.
Er lächelte ein wenig, doch um seine stechend blauen Augen zeigte sich Anspannung. »Ich hätte die Wunde auch heilen können, Dawn, aber sie soll dich daran erinnern, dass du dich in Acht nehmen musst. Nicht nur der Nebel könnte dir gefährlich werden, es gibt auch andere Wesen in der Traumwelt, die dir etwas antun würden, wenn sie könnten.«
Schöne Aussichten. Da hatte er mich gezwungen, in seine Welt zurückzukehren, und erzählte mir nun, dass hier Gefahren auf mich lauerten. »Wer zum Beispiel?« Karatos. Der hatte bei meiner letzten Begegnung mit ihm von »uns allen« geredet. Ich hatte gedacht, dass er allgemein von den Traumwesen sprach, aber möglicherweise hatte er etwas völlig anderes gemeint.
Morpheus straffte die breiten Schultern. Mein Vater war unglaublich gut gebaut, es war zu schade, dass ich diese Gene nicht geerbt hatte. »Es gibt einige, die glauben, dass deine Fähigkeit, in beiden Welten zu existieren, Ausdruck des Bösen ist.«
Ich starrte ihn an. »Ich habe nicht darum gebeten, als Freak geboren zu werden.«
Meine Worte schienen ihn zu kränken. »Du bist etwas Besonderes, Dawn. Etwas anderes habe ich nie geglaubt. Du hast Fähigkeiten, die selbst ich nicht besitze.«
Als Gott konnte Morpheus zwar mehr Zeit in der »realen« Welt verbringen als jedes andere Traumwesen, aber dort existieren, so wie ich, das konnte selbst er nicht. Und luzide Träumer wie Noah konnten ihre Träume zwar zu ihrem Vorteil lenken, unterlagen aber nach wie vor den Gesetzen dieser Welt. Ich nicht.
Nun, wo ich darüber nachdachte, fand ich es wirklich ganz schön abgefahren, diese Fähigkeit zu besitzen.
»Muss ich Angst haben vor den Traumwesen, denen meine bloße Existenz ein Dorn im Auge ist?« Ich musste unbedingt wissen, woran ich war, und auf alles gefasst sein, denn in diesem Reich wäre ich jedem Gegner weit unterlegen. Ich wusste noch, zu was ich als Kind fähig gewesen war, und eigentlich sollte ich mittlerweile viel kräftiger sein. Doch leider war ich so eingerostet, dass ich mich nicht viel besser verteidigen konnte als Noah oder jeder andere mächtige Träumer.
Bis Karatos das nächste Mal versuchen würde, zu mir ins Bett zu steigen, musste ich
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