Tochter der Träume / Roman
welchem?«
Wie eine schwarze Wolke senkte sich die Erinnerung an jenen Morgen in der Klinik herab, als die Polizei mich über den Tod von Nancy Leiberman informiert hatte. »Ich wollte dir sagen, dass ich Karatos’ Geschenk erhalten habe. Er hat eine meiner Patientinnen getötet.«
Noah wirkte völlig überrascht. Oder entsetzt – wahrscheinlich beides. »Scheiße.«
»Kann man so sagen.«
Er griff nach seinem Bier, das auf einem Steinuntersetzer auf dem Beistelltisch stand. Nach einem kräftigen Schluck behielt er die Flasche in der Hand und sah mich wieder an. »Warum ist das Ding hinter uns her?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht, weil du ein luzider Träumer bist und er seine Energie aus dir zieht. Was er aber von mir will, keine Ahnung – sich an meinem Vater rächen, vielleicht.«
»Wie können wir ihn aufhalten?«
»Auch das weiß ich nicht genau.« Aber ich würde es herausfinden. Ganz sicher.
»Fabelhaft.« Mit einem leichten Schlag auf seinen Schenkel stand er auf, trat an eines der riesigen Fenster und sah in die funkelnde Nacht hinaus.
»He«, sagte ich leise. »Wenigstens bist du noch am Leben.« Was man von Nancy Leiberman nicht mehr behaupten konnte.
Er sah mich finster an. »Oh, danke, Doc. Da geht es mir gleich viel besser.« Er schüttelte den Kopf. »Ich habe es satt, das Spielzeug von diesem Ding zu sein.«
»Ja, ich habe es ebenfalls satt.« Und zwar gewaltig. Eigentlich sollte ich in der Lage sein, das Wesen zu vernichten, oder es zusammenzuschlagen, aber ich wusste nicht, wie ich das anstellen sollte. Dabei wollte ich einfach nur mein Leben zurückhaben.
»Was hat er dir angetan?«, wagte sich Noah vor.
»Er hat mich vergewaltigt.« Die Wahrheit sprudelte aus mir heraus, ohne dass ich sie aufhalten konnte.
Noah blieb stocksteif stehen, wie ein Tier im Licht eines Scheinwerferkegels. »Was?«
Nun kam es auf den Rest auch nicht mehr an. »In einem Traum. Ich konnte ihn nicht stoppen.« Jedoch würde ich Noah nicht erzählen, dass der Dämon meinen Körper dazu gebracht hatte, es zu genießen. Das war zu intim und etwas, das ich lieber vergessen wollte.
Kummer zeichnete sich auf Noahs Gesicht ab, als er zum Sofa zurückkam. Er stellte sein Bier auf den Tisch und setzte sich dieses Mal näher an mich heran. Ich wehrte mich nicht, als er die Hand nach mir ausstreckte, mich an seine Brust zog und seine wunderbar starken Arme um mich schlang.
»O mein Gott, Dawn.« Ich schloss die Augen beim Klang meines Namens auf seinen Lippen. Bislang hatte ich deswegen nicht geweint, hatte ich mich allenfalls erst zornig und dann wie betäubt gefühlt, doch bei Noahs Anteilnahme schnürte es mir die Kehle zu. Und die zarten Küsse, die er mir auf die Stirn drückte, trieben mir Tränen in die Augen.
»Alles in Ordnung mit dir?«, murmelte er in mein Haar.
Ich nickte, eine Wange an sein Hemd geschmiegt. Es fühlte sich gut an. So gut. »Ja.«
»Ich würde diesen Scheißkerl umbringen, wenn ich nur wüsste, wie.«
Er meinte es ernst, und ich war auf seltsame Weise berührt. Doch ich wollte nicht als Opfer behandelt werden, daher wand ich mich aus seinen Armen und setzte mich aufrecht hin, rückte aber nicht von ihm weg. »Danke.«
Noah schien mein Abrücken nicht zu stören. Er legte mir in einer tröstenden Geste eine Hand auf das Bein. »Wie kann dieser … dieses Ding so etwas tun, ohne dass dein Vater davon weiß?«
»Ich habe keine Ahnung.«
Er betrachtete mich einen Augenblick lang. »Gibt es irgendjemanden außer deinem Vater, der weiß, wie man das Ding töten kann?«
Antwoine. Wieso war ich nicht gleich auf ihn gekommen? »Da ist dieser alte Mann, mit dem ich sprechen könnte. Ich werde gleich morgen nach ihm Ausschau halten.«
Noah war skeptisch – was sich bei ihm an einer leicht hochgezogenen Augenbraue zeigte. »Ein alter Mann soll zu etwas fähig sein, das der Gott der Träume nicht kann?«
Ich lächelte schief. »Klingt unwahrscheinlich, aber er scheint viel über die Welt der Traumwesen zu wissen, womit er meinen Vater schon einmal ausgetrickst hat. Er könnte wissen, wie Karatos es schafft, sich versteckt zu halten.«
»Gut.«
Es entstand eine Stille zwischen uns, die ich schließlich mit einer Frage durchbrach, die längst überfällig war – wäre ich nur früher darauf gekommen, sie zu stellen. »Noah, neulich nachts hast du mich in deinen Traum gezogen. Wie hast du das geschafft?«
»Ich weiß es nicht. Dieses Dämonending hatte mir heftig zugesetzt. Ich
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