Tochter Der Traumdiebe
Freundschaften.
Nachdem ich eine Weile gewandert war, kamen mir auch diejenigen, denen ich begegnete, irgendwie vertraut vor. Bei manchen war es offensichtlich, bei anderen etwas verborgen. Jeder dieser einsamen Männer und Frauen war eine neue Ausgabe meiner selbst. Tausende und Abertausende verschiedene Versionen von mir. Als gäbe es eine einzige, riesige, alles umfassende Persönlichkeit, die die Summe unserer Einzelteile darstellte. Es schien, als würde ich meine Identität im größeren Ganzen verlieren, einem geheimnisvollen Tanz oder Ritual folgend, einem Plan unterworfen, der letzten Endes unser aller Schicksal bestimmte.
Auf dieser zweiten Reise führte mich meine Traumreise nicht zu Oonas Hütte im Grenzland. Vielmehr näherte ich mich Schritt um Schritt einer Reihe kreisrund gekrümmter Äste, die umeinander gewunden waren, als befänden sie sich in aufgeregter Bewegung.
Ich musste die ganze Selbstbeherrschung aufbieten, die ich zusammen mit der Zauberkunst gelernt hatte, und ging weiter.
Die silbernen Fäden wurden zu breiten Bändern und dann zu breiten Straßen, die so kompliziert angelegt und miteinander verknüpft waren, dass man unmöglich sagen konnte, in welche Richtung sie liefen. Alle schienen schließlich genau in dem Punkt gebündelt, an dem ich jeweils gerade innehielt. Ich war froh, doch noch einen Mitreisenden zu finden, wenngleich ein wenig erstaunt, ein Gesicht zu sehen, das keinerlei Ähnlichkeit mit mir hatte, auch wenn es mir bekannt vorkam.
Wie es in Träumen geschieht, war ich nicht überrascht, Prinz Lobkowitz hier anzutreffen. Der distinguierte ältere Herr, der auch den Nom de guerre ›Herr El‹ benutzte, schüttelte mir feierlich die Hand, als wären wir uns auf einer Landstraße begegnet. Er schien sich wohl zu fühlen, als befände er sich in seiner natürlichen Umgebung. Ich erinnerte mich gut an den warmen, festen Händedruck und das beruhigende Gebaren.
- Mein lieber Graf!, sagte Lobkowitz sichtlich erfreut - man sagte mir schon, dass Sie mir hier über den Weg laufen würden. Kennen Sie diese Kreuzung?
- Überhaupt nicht, Prinz Lobkowitz. Und ich muss zugeben, dass ich auch keine große Lust habe, sie kennen zu lernen. Ich will einfach nur nach Hause. Wie Sie ja sicher wissen, habe ich viele gute Gründe, nach Deutschland zurückzukehren.
- Aber Sie können doch nicht ohne das Schwert zurückkehren?
- Es ist jetzt in besseren Händen als den meinen. Ich denke, ich habe in meinem Kampf gegen Hitlers Regime - was der wichtigste Grund für meinen Wunsch ist, nach Hause zurückzukehren - ohnehin kaum Verwendung dafür.
Lobkowitz’ traurige, weise Augen funkelten amüsiert. - Ich glaube, das wünschen wir uns alle, Mylord. Hier, auf den Mondstrahlwegen, begegnen wir gelegentlich dem Phänomen, dass Äste in sich selbst zurückzuführen scheinen. Es sieht aus, als würden sie sich selbst verschlucken oder sich auf eigenartige Weise vervielfältigen, bis sie ein kompliziertes und unwegsames Terrain bilden. Die Theorie geht dahin, dass solche Orte eine Art Krebsgeschwür darstellen, wo Ordnung und Chaos nicht mehr im Gleichgewicht, sondern in einen Konflikt eingetreten sind, der sie letzten Endes beide zerstören kann. Das kann für uns gefährlich werden, denn die so entstehenden Paradoxien sind pervers und unnatürlich und bergen weder Weisheit noch Reife. Sie erzeugen nur eine immer tiefere Verwirrung.
- Aber mein Weg führt mich in diese Richtung. Wie kann ich dem ausweichen?
- Das kann man nicht… ich kann Ihnen jedoch hindurchhelfen, wenn Sie möchten.
Natürlich nahm ich sein Angebot gern an und er fiel in meinen Schritt ein, schaute auf das Geflecht der silbernen Straßen, die uns überall umgaben, und machte eine Bemerkung über ihre Schönheit. Ich fragte ihn, ob dies der Nebelgrund wäre. Er schüttelte den Kopf.
- Dies sind die Straßen, die wir selbst zwischen den Reichen anlegen. Genauso wie Fußwege über Generationen in einer Landschaft ausgetreten werden und sich in Hauptstraßen verwandeln, erzeugen unsere Wünsche und Eingriffe vertraute Wege durchs Multiversum. Man könnte sagen, dass wir einen linearen Weg entwickeln, durch ein nichtlineares Feld zu reisen. Unsere Straßen sind der Phantasie entsprungen und alles, was wir zu sehen glauben, ist nichts als eine Illusion oder ein unvollständiger Blick auf das Ganze. Die menschliche Psyche organisiert beispielsweise die Zeit, um sich linear in ihr zurechtzufinden. Man sagt, menschliche
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