Tochter Der Traumdiebe
Intelligenz und die Träume der Menschen seien die wahren Schöpfer all dessen, was wir sehen. Ich habe großes Vertrauen in die wohltätige Kraft der Träume und neige selbst zu der Ansicht, dass wir uns und unsere Umgebung im Grunde aus uns selbst heraus erschaffen. Auch das ist eine der Paradoxien, die uns einem Verständnis unserer Umgebung näher bringen können.
Das Gewirr der Straßen um uns war immer dichter geworden und ich war etwas beunruhigt.
- Was hat diese Ballung von silbernen Fäden zu bedeuten?
- Die Linearität, die auf sich selbst zurückgeworfen wird? Die Ordnung, die den Verstand verloren hat? Ungezügeltes Chaos? In diesem Stadium spielt das keine große Rolle. Vielleicht sind diese Formen nur Blüten auf einem Baum, die ihrerseits ganz neue Dimensionen hervorbringen wollen. Ich glaube, manche nennen diese Kreuzung Die Chrysantheme und weichen ihr aus.
- Warum?
- Weil man sich hier wirklich verirren kann, bis man nichts Vertrautes mehr sieht. Vielleicht, wenn dies ein Krebsgeschwür ist…
- Weiß denn niemand, wie dieses Ding entstanden ist und was es zu bedeuten hat?
- Wer sollte das sagen können? Es könnte jedenfalls alles oder nichts sein.
- Dann könnten wir auch in eine Falle geraten. Ist es dies, was Sie mir damit sagen wollen?
- Ich weiß nur, dass nichts völlig sicher ist. Hier kann sich eine philosophische Idee als konkrete Realität entpuppen. Und umgekehrt…
Lobkowitz lächelte ein wenig.
- Es ist am besten, wenn man sich hier auf fundierte Theorien verlässt. Realitäten und Gewissheiten sind unzuverlässig. Von einer Theorie fühlt man sich nicht so leicht hintergangen. Man sagt: Wenn man das Multiversum verstehen will, müsse man von der Bewertung zur reinen Wahrnehmung wechseln. Von der Manipulation zum Verstehen und vom Verstehen zum Handeln.
Als junger Student der Zauberei hatte man mich etwas sehr Ähnliches gelehrt. Doch ich hatte Angst, in diesem silbrigen Geflecht von Straßen unterzugehen. Der Österreicher schien sich beinahe über mich zu amüsieren.
-Was hatten Sie denn hier zu finden gehofft? Ich lachte. - Mich selbst, sagte ich.
- Schauen Sie, sagte Lobkowitz und streckte den Arm aus. Ein kleiner gerader Zweig führte aus dem Gewirr heraus in funkelnde Schwärze. - Wollen Sie in diese Richtung gehen?
- Wohin führt die Abzweigung?
- Sie führt Sie, wohin immer Sie den Willen und den Mut zu gehen haben. Sie zeigt Ihnen, was immer Sie den Willen und den Mut zu tun haben.
Ich hatte eigentlich gehofft, etwas konkretere Hinweise zu bekommen, doch ich begriff, dass es in einem so veränderlichen Multiversum, das sich den Wünschen der Sterblichen anpasste und trügerisch und instabil war, keine Sicherheit geben konnte. Dennoch hatte ich das unbestimmte Gefühl, in einem eigenartigen Gleichnis gefangen zu sein.
Diese Träume träumte ich als von Bek und als Elric. Es waren tiefe Träume, die sich hartnäckig dem Gedächtnis zu entziehen drohten. Elrics Träume waren die tiefsten und er sollte sich an sie nur als besonders schlimme unter seinen übrigen Albträumen erinnern können. Die Art von Träumen, aus denen er schreiend mitten in der Nacht erwachte. Die Sorte Träume, die ihn zu immer wilderen Abenteuern trieb, weil er versuchte, den Erinnerungen daran zu entkommen.
Die Verbindungen zu von Bek wurden schwächer, sobald ich auf die neue, gerade Straße trat. »Schließlich müssen Sie die Insel Morn besuchen.« Prinz Lobkowitz wünschte mir Lebewohl und zog sich ins dichte Gewirr der Pfade zurück.
Ich ging weiter und sah mich noch einmal über die Schulter um. »Morn?« Ich konnte den geheimnisvollen Prinzen Lobkowitz oder Herrn El nicht mehr sehen. Das große Gewirr erschien mir jetzt tatsächlich wie eine wundervoll geschnitzte Chrysantheme, so vollkommen geformt, dass sie unmöglich von einem sterblichen Handwerker geschaffen sein konnte. Ich begriff jetzt, warum man dem Komplex diesen Namen gegeben hatte. Gab es Menschen, die den Verlauf der Wege auf Karten festhielten? Menschen, die immer wieder die gleiche Reise unternehmen konnten?
Warum hatte Lobkowitz mich auf diesen Pfad geführt, wo ich mich den Gefahren, die er beschrieben hatte, stellen sollte? Ich fragte mich kurz, ob er mich möglicherweise getäuscht hatte, aber dann schob ich den Gedanken fort. Ich musste den wenigen, denen ich zu vertrauen gelernt hatte, auch weiterhin vertrauen, sonst war ich wirklich verloren.
Mein Weg führte zu einem anderen und wieder zu einem neuen, bis
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