Tochter Der Traumdiebe
als die Luft vor uns auf einmal mit dem strahlenden Rot und Grün riesiger und zugleich zarter Amaryllis- und cremefarbener Irisblüten erfüllt war, ließ ich in meiner Wachsamkeit nicht nach.
»Was war das?«, fragte ich Elric.
Der Zauberer lächelte schief. »Ich weiß es nicht. Vielleicht jemandes plötzliche Gedanken?«
Hatten sich die Formen spontan im seltsamen, dichten Nebel gebildet? Ich hatte den Eindruck, dass dieser Urstoff jederzeit erkennbare Formen hervorbringen konnte. Unter dem legendären Nebelgrund hatte ich mir etwas Spektakuläres vorgestellt, doch andererseits war ich auch froh, nicht die zuckenden, wirren Fasern des Chaos zu sehen, an die andere Erzählungen mich hatten denken lassen. Ich gewann den Eindruck, dass ich mich nur konzentrieren musste, um äußerst bizarre Phantasien Wirklichkeit werden zu lassen. Ich wagte kaum an Gaynor und Klosterheim zu denken, weil ich fürchtete, sie durch meine Gedanken erst recht heraufzubeschwören.
Die Hufschläge unserer Pferde, das Klingeln der Geschirre und sogar unser Atem, alles schien vom Nebel verstärkt zu werden. Der Umriss des Panthers wurde vom Dunst halb verschluckt, blieb aber immer verschwommen sichtbar wie ein Schatten. Wir konnten nicht einmal mehr erkennen, ob wir über Fels oder harte Erde ritten, denn der hellgraue Nebel hüllte die Pferde bis zu den Bäuchen ein und spülte wie Quecksilber um uns.
Der Boden unter uns wurde jedoch offensichtlich weicher, denn die Hufschläge waren gedämpft. Wir ritten jetzt in tiefem Schweigen. Ich stand noch immer unter beträchtlicher Anspannung und wechselte ein paar Worte mit Elric. Meine Stimme klang leblos, als würden mir die Worte direkt vor dem Mund entrissen.
»Wir haben die Fährte verloren, oder? Er ist uns im Nebelgrund entwischt und das ist nach allem, was ich weiß, eine Katastrophe.«
Als er antwortete, war ich nicht sicher, ob er sprach oder ob ich seine Gedanken las. »Das macht unsere Aufgabe schwieriger.«
Alles war jetzt ungewiss und unklar, zweifellos eine Eigenschaft des Nebelgrundes. Schließlich näherten wir uns hier dem ungeformten Grundstoff des Multiversums. Doch ganz gleich wie verschwommen die Welt wurde, der Panther blieb immer sichtbar. Und wir blieben auf der Fährte und Gaynor war immer noch gefährlich.
Dann blieb der Panther ohne Vorwarnung stehen. Er hob den schön geschnittenen Kopf und lauschte, eine Pfote erhoben. Der Schwanz zuckte. Die Augen verengten sich. Irgendetwas beunruhigte die große schwarze Katze. Ich zögerte.
Elric stieg ab und watete durch den Nebel, der ihm bis zur Brust ging, zum Panther. Die Nebelschwaden wurden dichter und ich verlor Elric für einen Moment aus den Augen. Als ich ihn wieder sah, sprach er mit einem Menschen. Zuerst dachte ich, wir hätten Gaynor gefunden.
Die Gestalt drehte sich um und kam mit ihm zurück. Oona trug den Bogen und den Köcher über der Schulter. Sie wirkte, als mache sie einen gemächlichen Spaziergang. Das Grinsen wirkte herausfordernd und sagte mir, ich solle ja keine Fragen stellen.
Ich wusste immer noch nicht, ob sie eine Zauberin oder eine Illusionistin war oder ob sie einfach nur die Bewegungen des Panthers oder der Häsin kontrollierte. Ich hatte keinerlei Vorstellungen von der Magie, die hier im Spiel war. Allerdings war ich ganz und gar bereit zu akzeptieren, dass ich der Zeuge magischer Vorgänge geworden war. Diese Leute manipulierten das Multiversum auf eine Art und Weise, die ihnen völlig normal erschien, die für mich jedoch ein Buch mit sieben Siegeln war. Sobald ich erkannt hatte, dass meine eigene vertraute Welt des zwanzigsten Jahrhunderts für andere eine bizarre Welt voller chaotischer mechanischer Erfindungen war, für sie so geheimnisvoll wie die Welt der anderen für mich, und dass meine Welt sogar für die Halbgötter, die mit ihren geistigen Kräften ganze Welten lenken konnten, ein schreckliches Rätsel sein musste, begann ich alles, was ich erlebte, als das hinzunehmen, was es war. Ich versuchte nicht, wie es ein wahnsinniger Kartograph vielleicht versucht hätte, meine beschränkte Erfahrung und Phantasie auf diese komplizierte Welt zu übertragen. Ich hatte nicht den Wunsch, ihr meinen Stempel aufzudrücken. Ich wollte lieber forschen, beobachten und fühlen. Die einzige Möglichkeit, dies alles zu verstehen, bestand darin, es zu erleben.
Der perlmuttgraue Dunst wirbelte unablässig um uns, als Oona und Elric vor mir standen. Sie runzelte die Stirn und schien verwirrt.
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