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Tochter Der Traumdiebe

Tochter Der Traumdiebe

Titel: Tochter Der Traumdiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
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ausländischen Hilfsorganisationen, die noch in Deutschland arbeiten durften, erlebten wir noch einmal die Kameradschaft, die wir in den Schützengräben kennen gelernt hatten. Jenseits der Schlossmauern, im ›Außenbereich‹, hörten wir häufig Schreie, die uns das Blut in den Adern gefrieren ließen, auch Schüsse und sogar noch entsetzlichere Geräusche, die wir nicht ohne weiteres identifizieren konnten.
    Der Schlaf war mir kein Trost und keine Flucht. Der friedlichste Traum, den ich hatte, war noch der von einer weißen Häsin, die durch den Schnee rannte und eine Blutspur hinterließ. Immer noch träumte ich häufig von Drachen und Schwertern und mächtigen Armeen. Ein Freudianer hätte mich für einen klassischen Fall gehalten. Vielleicht war ich das auch, doch für mich waren diese Dinge real - lebhafter als das Leben selbst.
    Nach einer Weile glaubte ich, in den Träumen mich selbst zu erkennen. Eine Gestalt, die sich fast immer im Schatten hielt, das Gesicht im Dunkeln, harte Augen von der Farbe und Tiefe von Rubinen, die mich anstarrten. Ausdruckslose Augen, hinter denen mehr Wissen steckte, als ich überhaupt gewinnen wollte. Sah ich dort mein zukünftiges Selbst vor mir?
    Irgendwie empfand ich diesen Doppelgänger als Verbündeten, während ich zugleich auch große Angst vor ihm hatte.
    Als ich an der Reihe war, eine Koje zu belegen, schlief ich gut. Sogar auf dem Boden der Gefängniszelle fand ich meist etwas Ruhe. Die Wächter waren aus SA-Leuten und Gefängniswärtern rekrutiert worden. Letztere gaben sich Mühe, sich an die alten Regeln zu halten und dafür zu sorgen, dass wir ordentlich behandelt wurden. Dies war unmöglich, die alten Vorgaben waren gar nicht zu erfüllen, aber immerhin konnten wir gelegentlich einen Arzt aufsuchen und sehr selten wurde sogar einer von uns entlassen und durfte zu seiner Familie zurückkehren.
    Wir wussten genau, dass wir privilegiert waren. Wir saßen in einem der komfortabelsten Lager im Land. Obwohl nicht mehr als Vorahnungen der Todesfabriken von Auschwitz und Treblinka, galten Dachau und einige andere Lager schon bald als Mordstätten, auch wenn die Zeit, da die Nazis die Endlösung in die Realität umsetzen würden, noch lange nicht gekommen war.
    Was ich aber nicht wusste, war, dass meine ›Lektionen‹ gerade erst begonnen hatten. Ungefähr zwei Monate später wurde ich eines Tages vom SA-Hauptsturmführer Hahn aus der Zelle geholt. Wir fürchteten ihn alle und besonders fürchteten wir ihn, wenn er, wie jetzt, von zwei uniformierten Strolchen begleitet wurde, die wir als Fritzi und Franzi kannten. Der eine war groß und schmal, der andere klein und dick. Sie erinnerten uns an Gestalten aus Cartoons. Hahn kam mir dagegen wie ein ganz normaler SA-Offizier vor. Aufgedunsenes Gesicht, kleines Hitlerbärtchen, Knollennase und zwei oder drei wackelnde Etagen unter dem Kinn. Ihm fehlten nur die grässlichen Narben im Gesicht und die wilden Begierden, und er wäre ein perfektes Ebenbild seines Anführers Röhm gewesen, vor dem die Männer die Söhne versteckten, wenn er mit seiner Bande in eine Stadt einfiel.
    Ich wurde zwischen Fritzi und Franzi treppauf und treppab geführt, durch Gänge und Flure, bis ich schließlich ins Büro des Lagerkommandanten geschoben wurde, wo Major Hausleitner, ein korrupter alter Trinker, der aus jeder anständigen Armee sofort hinausgeflogen wäre, mich schon erwartete. Seit meiner Einlieferung, die ihn anscheinend etwas in Verlegenheit gebracht hatte, war ich ihm nur ein einziges Mal begegnet. Jetzt schien er nervös. Es lag etwas in der Luft und ich hatte den Verdacht, dass Hausleitner der Letzte war, der es erfahren würde. Er sagte, man werde mich unter Aufsicht meines Vetters, inzwischen Major von Minct, ›aus humanitären Gründen‹ auf Bewährung entlassen. Er riet mir, sauber zu bleiben und mit den Leuten zusammenzuarbeiten, die nur mein Bestes wollten. Falls ich wieder nach Sachsenburg zurückkehrte, würde ich keinesfalls noch einmal solche Privilegien genießen.
    Irgendjemand hatte meine Kleidung aufgetrieben. Zweifellos hatte Gaynor oder einer seiner Leute meine Sachen aus Bek geholt. Hemd und Hose hingen locker am Körper, weil ich abgemagert war, aber ich zog mich sorgfältig an und machte auch in die Schnürsenkel ordentliche Knoten. Ich wollte so gut wie möglich aussehen, wenn ich meinem Vetter vorgestellt würde.
    Fritzi und Franzi eskortierten mich in den Schlosshof, wo Prinz Gaynor neben seinem Wagen wartete.

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