Tochter Der Traumdiebe
doch auch diese Version war stark nachbearbeitet worden. Das Original klang viel zu grotesk und phantastisch, um auch nur entfernt glaubwürdig zu wirken. Selbst die Engländer, die doch eine Vorliebe für solche Räuberpistolen besaßen, hatten ihr keinen großen Glauben geschenkt. Aus unserer sonst eher langweiligen Familie gingen hin und wieder höchst eigenartige Vertreter hervor, was natürlich als ironische Anspielung auf mein eigenes, fremdartiges Aussehen gemeint war.
»Wirklich«, antwortete darauf Herr El, indem er ein Glas Kognak annahm. Die junge Frau lehnte ab. »Und nun befinden wir uns in einer Gesellschaft, die versucht, alle Unterschiede auszumerzen, die jeglicher Lebenserfahrung zuwider auf Konformismus besteht. Pedanten geben schlechte Gouverneure ab. Meinen Sie nicht auch, wir sollten die Vielfalt feiern und kultivieren, solange wir noch können, Graf Ulric?«
Auch wenn ich ihnen keineswegs feindlich gegenüberstand, bekam ich das Gefühl, dass möglicherweise auch diese Besucher aus einem ganz bestimmten Grund gekommen und enttäuscht worden waren.
Auf einmal murmelte die junge Frau, die immer noch die Kapuze und die dunkle Brille trug, mit dem großen jungen Mann, der daraufhin das noch nicht geleerte Glas abstellte und sich mit ihr eilig durch die Fenstertür hinaus auf die Veranda bewegte.
»Einer von uns wird bald wieder Verbindung mit Ihnen aufnehmen. Aber vergessen Sie nicht, dass Sie in großer Gefahr schweben. Solange das Schwert verborgen bleibt, lässt man sie vielleicht am Leben. Haben Sie keine Angst, Herr Graf, Sie werden der Weißen Taube dienen.«
Sie verließen die Veranda und verschwanden in der Dunkelheit. Ich trat hinaus und atmete in der klaren Nachtluft tief durch. Als ich zur Brücke hinunterschaute, glaubte ich wieder die weiße Häsin laufen zu sehen. Einen Augenblick lang meinte ich sogar, sie folge einem weißen Raben, der knapp über ihrem Kopf flog. Von der Frau und dem Mann konnte ich nichts mehr erkennen. Schließlich, als ich keine Hoffnung mehr hatte, die Häsin oder den Vogel noch einmal zu sehen, ging ich nach drinnen, sperrte die Tür zu und zog die schweren Vorhänge vor.
In dieser Nacht träumte ich wieder, ich würde auf dem Rücken eines Drachen fliegen. Dieses Mal war es allerdings eine friedliche Szenerie. Ich schwebte über den schlanken Türmen und Minaretten einer märchenhaften Stadt, die vor lebhaften Flammen förmlich loderte. Ich kannte den Namen der Stadt. Ich wusste, dass es meine Heimat war.
Aber auch wenn es meine Heimat war, der Anblick erfüllte mich mit Sehnsucht und Pein und schließlich lenkte ich den Drachen in eine andere Richtung, bis wir anmutig über den weiten Wassern eines dunklen, endlosen Ozeans flogen. Wir flogen der silbrig-goldenen Scheibe des Mondes entgegen, der den Horizont beherrschte.
Am frühen Morgen wurde ich von Autos geweckt, die über die Zufahrt fuhren. Als ich endlich meinen Morgenmantel gefunden hatte und ans vordere Fenster treten konnte, sah ich, dass drei Wagen draußen standen, Dienstwagen. Zwei waren Mercedes-Limousinen, der Dritte ein schwarzer Polizeiwagen. Diesen Anblick kannte ich schon. Zweifellos war jemand gekommen, um mich zu verhaften.
Oder vielleicht wollten sie mich auch nur einschüchtern.
Ich überlegte, ob ich durch die Hintertür verschwinden sollte, aber dann fiel mir ein, wie würdelos es wäre, wenn mich dort die Wachposten abfingen. Jetzt hörte ich Stimmen im Flur. Niemand wurde laut. Ich hörte einen Diener sagen, man werde mich wecken.
Ich kehrte in mein Zimmer zurück und als der Diener eintrat, versprach ich, gleich nach unten zu kommen. Ich wusch mich, rasierte mich und kleidete mich an. Ich entschied mich für die Armeeuniform. Dann ging ich die Treppe hinunter in die Eingangshalle, wo zwei Zivilbeamte der Gestapo, zu erkennen an den identischen Ledermänteln, auf mich warteten. Die Insassen des anderen Fahrzeuges waren vermutlich ums Haus herum verteilt worden.
»Guten Morgen, meine Herren.« Ich blieb auf einer der unteren Treppenstufen stehen. »Wie kann ich Ihnen helfen?« Eine banale Bemerkung, aber irgendwie angemessen.
»Graf Ulric von Bek?« Der Sprecher war beim Rasieren nicht besonders erfolgreich gewesen, das Gesicht war mit kleinen Scharten überzogen. Der dunkelhäutige Kollege war jung und wirkte etwas nervös.
»Der bin ich«, antwortete ich. »Und Sie, meine Herren, sind…«
»Ich bin Leutnant Bauer, dies ist Gefreiter Stifter. Uns ist bekannt, dass
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