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Tochter Der Traumdiebe

Tochter Der Traumdiebe

Titel: Tochter Der Traumdiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
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erwachend, wenn eine Beute zu spüren war, wenn Wesen wie wir vorbeieilten, blind und taub und verloren.
    Die Schönheiten, die das Licht vom Fluss beleuchtete, machten mich Staunen und versetzten mich doch in Angst und Schrecken. Hoch über uns, gleich den zierlichen Pfeifen verzauberter Orgeln, hingen Tausende und Abertausende Kristalllüster, alle in kühlem, silbrigem Licht strahlend. Hin und wieder fing sich ein Reflex in einem Lüster und schoss einen bunten Blitz über den Dunst und das strömende Wasser hinweg, das ewig stürzte und ewig zu den Kuppeln und Dächern hinaufbrüllte.
    Ich konnte nicht glauben, dass das Höhlensystem sich so tief unter die Erde erstreckte und so weitläufig war. Es schien unendlich. Lauerten hier Ungeheuer? Ich erinnerte mich an einen Stich aus einem Buch von Jules Verne. Riesige Schlangen? Riesenkrokodile? Die Nachkommen von Dinosauriern?
    Dann fiel mir ein, dass uns immer noch sehr reale Rohlinge im Nacken saßen. Nicht einmal Verne oder Wells hatten die Nazipartei und ihre vielfältige Bösartigkeit ersinnen können.
    Zweifellos hatten Gaynor und sein Verbündeter Klosterheim ehrgeizigere Motive als nur den Wunsch, der Sache der Nazis zu dienen. Ich vermutete, dass die beiden Männer schlagartig aufhörten, Nazis zu sein, sobald die Nazis ihnen nicht mehr nützlich waren. Damit stellten sie für uns natürlich eine noch größere Bedrohung dar. Keiner Sache verpflichtet außer der eigenen, konnten sie vorgeben, jeder Sache zu dienen. Gaynor hatte mir seine liebenswürdige und böse Seite bereits gezeigt. Ich vermutete, dass es viele Spielarten von Liebenswürdigkeit und Bosheit in ihm gab, die auch andere schon zur Genüge gesehen hatten. Ein Mann mit vielen Gesichtern. In diesem Punkt war er Hitler nicht unähnlich.
    Ich kann nicht mehr schildern, wie ich mich, meist mit Oonas Hilfe, den langen, schlüpfrigen Weg hinunter tastete, stets die gebrochenen Fußknochen spürend, allerdings dank des Tranks ohne starke Schmerzen. Ich wusste, dass mein ramponierter Körper mir nicht mehr lange gehorchen würde.
    Endlich erreichten wir die außergewöhnliche Brücke. Mit der gleichen fließenden Geschmeidigkeit wie alles andere wuchs sie aus dem umgebenden Fels heraus, als wäre erst vor wenigen Augenblicken etwas Lebendiges erstarrt. In der glühenden Gischt nahmen die bleichen Steinsäulen vor uns die Gestalt einer natürlichen Kathedrale an. Sie erinnerte mich an eine Phantasie des verrückten katalanischen Architekten Gaudi oder an unseren Ludwig von Bayern, sie war jedoch weitaus komplizierter und zierlicher konstruiert. Zu beiden Seiten erschien sie von hohen Türmen und Zinnen umgeben, alle durch natürliche Vorgänge in der Höhle entstanden, die auch hier auf eigenartige Weise lebendig wirkten. Der Boden schien dagegen nicht auf natürliche Weise abgetragen, sondern geglättet, um menschlichen Füßen das Fortkommen zu erleichtern. Die zierlichen silbernen Türme marschierten durch die Schlucht, drunten rann der glühende Fluss durch ›Höhlen, unergründlich für jedermann, in ein Meer, von Nacht umbraut‹. Hatten die Opiumpoeten des ›English Enlightenment‹ gesehen, was ich jetzt sah? Hatte ihre Phantasie es vielleicht sogar erschaffen? Dieser beunruhigende Gedanke kam mir mehr als einmal. Mein Gehirn konnte kaum den wahren Umfang dessen, was meine Augen wahrnahmen, erfassen, und so neigte ich wie jeder gewöhnliche Irre dazu, mir eine Art von Logik zu erfinden, um die Fassung zu bewahren, weil ich sonst einfach zum ungesicherten Rand der riesigen Brücke gelaufen wäre und mich zu Tode gestürzt hätte.
    Von Natur aus war ich keineswegs selbstmordgefährdet. Ich hatte immer noch eine schwache Hoffnung, medizinische Hilfe und eine Wegbeschreibung zurück zur Oberfläche zu finden, wo ich mich nützlich machen konnte. Das Tosen des Wassers im Abgrund unter uns hinderte mich, Oona entsprechende Fragen zu stellen, und so konnte ich mich nur in Geduld üben. Nachdem wir eine Weile gerastet hatten, humpelten wir langsam über die Brücke. Ich benutzte mein Schwert als Gehstock, Oona stützte sich auf den geschnitzten Bogen.
    Die Gischt, die vom Wasser heraufwehte, hüllte die ganze Brücke in hellen Dunst. Allmählich wurde mir bewusst, dass vor uns und mitten auf dem Weg jemand stand - annähernd von meiner Größe. Der Kerl hatte freilich eine eigenartige Figur und schien sich ebenfalls auf einen Stab zu stützen. Oona drängte mich weiter, weil wir offenbar erwartet

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