Tochter Der Traumdiebe
fehlte mir die Geduld.«
Sie hielt mitten im Schritt inne und auch ich blieb stehen. Sie sagte nichts, sondern sah mich nur an. Rote Augen starrten mich an. Ich lächelte und sie erwiderte das Lächeln, aber sie schien etwas enttäuscht.
»Dann sind Sie also keine Diebin wie Ihre Mutter?«
»Ich habe nicht gesagt, dass ich überhaupt keine Diebin sei. Ich habe einige Ihrer Begabungen geerbt, nicht aber ihre Berufung.«
»Und Ihr Vater?«
»Ach«, sagte sie. Sie lachte in sich hinein und betrachtete die jadegrüne Straße, auf der unsere Schatten lagen. »Ach, mein Vater.«
Sie ging nicht weiter darauf ein, deshalb fragte ich sie nach ihren Reisen in anderen Welten.
»Verglichen mit meiner Mutter bin ich nicht viel gereist«, erklärte sie. »Eine Weile habe ich in England und Deutschland gelebt, allerdings nicht in Ihrer Welt. Ich muss zugeben, dass ich von Welten, die Ihnen sehr vertraut wären, besonders fasziniert bin. Vielleicht liegt es daran, dass auch meine Mutter sie besonders mochte. Wie ist es mit Ihnen, Graf von Bek, vermissen Sie nicht Ihre Angehörigen?«
»Meine Mutter ist bei meiner Geburt gestorben, ich war das letzte Kind. Das Schwierigste für sie.«
»Und Ihr Vater?«
»Er war ein Gelehrter. Er hat Kierkegaard studiert. Ich glaube, er hat mir die Schuld am Tod meiner Mutter gegeben. Die meiste Zeit hat er im alten Turm unseres Hauses verbracht. Er hatte eine riesige Bibliothek. Gestorben ist er bei einem Brand, der auch die Bibliothek zerstörte. Es gab dunkle Anzeichen von Wahnsinn und Schlimmeres. Ich ging damals anderswo zur Schule, aber es gab seltsame Geschichten über diese Nacht und über das, was die Leute in Bek angeblich gesehen hätten. Eine groteske, abenteuerliche Geschichte ging dahin, dass mein Vater sich geweigert hätte, eine Art Pakt zu erfüllen, den meine Familie angeblich mit dem Teufel geschlossen habe, und deshalb hätte er das ihm anvertraute Erbe verloren.«
Ich lachte, aber nicht mit der Offenherzigkeit meiner Begleiterin. Es fiel mir schwer, um einen Mann zu trauern, der mir so fern war und der, so vermute ich, nicht getrauert hätte, wenn ich im Feuer umgekommen wäre. Er fand meinen Albinismus abstoßend oder mindestens beunruhigend. Doch meine Versuche, mich von meinen Eltern und ihren Problemen zu lösen, waren nie wirklich erfolgreich verlaufen. Mein Vater erwartete von mir, ich solle die Pflicht auf mich nehmen, die meine Herkunft mir auferlegte, und doch konnte er mich nicht lieben, wie er meine Brüder geliebt hatte. Oona drängte mich nicht weiter. Wieder einmal war ich überrascht, welch starke Gefühle solche Erinnerungen wecken konnten.
»Wir hatten beide eine schwierige Familiengeschichte«, murmelte sie mitfühlend.
»Dennoch will ich nach Bek zurückkehren«, wandte ich ein. »Gibt es keine Möglichkeit, dass Sie mich bald nach Hause bringen?«
Sie bedauerte. »Ich reise zwischen den Träumen. Ich lebe, wie man sagt, in den Geschichten, die das Wachstum und die Erneuerung des Multiversums gewährleisten. Manche glauben, wir träumten uns selbst in die Realität hinein. Wir seien Sehnsüchte, Begierden, Ideale und Gelüste, die konkret werden. Eine andere Theorie geht dahin, dass das Multiversum uns träumt, wieder eine andere besagt, wir würden das Multiversum träumen. Haben Sie auch eine Theorie, Graf von Bek?«
»Ich fürchte, all dies ist mir völlig neu. Ich habe schon Mühe, die grundlegenden Annahmen hinter alledem zu akzeptieren.« Ich nahm sie in den Arm, weil sie etwas niedergeschlagen schien. »Wenn ich überhaupt an etwas glaube, dann an die Menschheit. Ich glaube an unsere Fähigkeit, uns aus dem Sumpf ungezügelter Gelüste und achtloser Grausamkeit zu ziehen, ich glaube an ein grundsätzliches Streben zum Guten, das eine Harmonie erzeugen kann, die nur zu leicht von Rohlingen zerstört wird.«
Oona zuckte die Achseln. »Ängstliche Hunde überfressen sich«, sagte sie. »Und dann übergeben sie sich meist.«
»Sind Sie eine Zyniker in?«
»Nein. Aber wir Ritter des Gleichgewichts müssen eine lange Schlacht schlagen, um diese Ordnung zu erreichen.«
Diesen Satz hatte ich schon einmal gehört. Ich fragte sie, was er zu bedeuten habe.
»Damit werden die beschrieben, die sich in der Welt für Recht und Gerechtigkeit einsetzen«, erklärte sie.
»Bin ich einer dieser Ritter?«, fragte ich.
»Ich denke, das wissen Sie bereits«, sagte sie. Dann wechselte sie das Thema. Sie deutete zu den Türmen Moo Orias, auf deren
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